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Die Sendung zum Nachlesen:
Jens Jüttner:
Ich fand das so ganz schön, die Vorstellung, dass die Zeit ohne mich weiterläuft. Alle anderen gehen ihren normalen Lebensweg weiter und entwickeln sich weiter und ich fühlte mich so, als wär‘ ich da rausgefallen durch meine Krankheit. Ich bin also quasi aus der Zeit oder aus der Welt gefallen.
Jens Jüttner hat das so erlebt. Gut zehn Jahre lang war er psychisch krank, litt unter einer paranoiden Schizophrenie, war lange in einer Klinik. Er hat einen Weg gefunden, zunächst mit der Krankheit zu leben und sie schließlich ganz zu überwinden. Mich fasziniert, wie Menschen ihren Weg aus einer Krise finden. Manchmal spielt auch der Glaube dabei eine Rolle. Für Jens Jüttner war am Anfang wichtig,…
Jens Jüttner:
… dass man zunächst einmal für sich die Krankheit annimmt, sich eingesteht, dass man krank ist und dann auch bereit ist, sein Leben zu ändern; also sich auf etwas Neues einzulassen und von dem Alten, was bei mir der Job als Rechtsanwalt war, Abstand zu nehmen und sich neu zu orientieren.
Jens Jüttner war 27 Jahre alt und stand vor dem zweiten juristischen Staatsexamen, als die ersten Anzeichen der Erkrankung auftauchten. Als einer, der früher als Patient in der Klinik war, arbeitet er heute als Ex-In-Genesungsbegleiter für psychisch erkrankte Menschen. Auf dem Weg zur Genesung war für ihn noch etwas Zweites wichtig:
Jens Jüttner:
Dazu gehört dann auch, dass man eine gute Struktur in seinem Alltag hat, und dass man das Gefühl hat, dass das, was man tut, einen Sinn hat. Ich glaube, jeder Mensch braucht eine Aufgabe und wenn man seine Aufgabe gefunden hat und so vielleicht seine Art „Bestimmung“ oder so etwas, dann gibt es ganz viel auch an Zufriedenheit im Leben.
Das Alte hinter sich lassen und etwas Neues beginnen. Den Alltag strukturieren und eine sinnvolle Aufgabe finden. Das schafft man nicht allein. Für diesen Weg braucht es professionelle medizinische und therapeutische Begleitung. Und nicht nur das:
Jens Jüttner:
… stabile Beziehungen, gute Beziehungen zu Freunden, Familie, Partnerin. Dass man da auch wirklich darauf achtet: Mit welchen Menschen umgebe ich mich? Sind das positive Beziehungen für mich? Also eigentlich Dinge, die für jeden Menschen wichtig sind, damit er psychisch gesund bleibt und dass es ihm gut geht.
Hat Jens Jüttner die besten Jahre seines Lebens an die Krankheit verloren? In den Jahren zwischen Mitte 20 und Mitte 30 bauen andere an ihrer beruflichen Karriere oder gründen eine Familie. Er war in dieser Zeit mit seiner Erkrankung beschäftigt. Dennoch sieht er die Jahre nicht als verloren an. Er hat viel über sich gelernt, heute geht es ihm gut. Es war wichtig für ihn, Altes loszulassen.
Jens Jüttner:
Und da, glaube ich, ist auf jeden Fall der christliche Glaube ein guter Weg, weil es ja im Glauben angelegt ist, dass man auch Altes abstreifen kann und immer wieder, eigentlich jeden Tag, die Chance zum Neuanfang hat.
Ganz neu anfangen, das hört sich nicht so leicht an. Ich weiß ja nie, wo ich ankomme, wenn ich einen neuen Weg einschlage.
Jens Jüttner:
Und da gehört dann auch ganz viel Vertrauen zu: dass man, ja, das Vertrauen hat, loszulassen. Vertrauen hat, es wird schon irgendwo hinführen, wenn ich jetzt die alten Bahnen verlasse. Und da hilft es, wenn man glaubt, dass da jemand ist, der ja vielleicht die Kontrolle übernimmt. Dass man selber Kontrolle abgibt und einfach vertraut und Glauben hat, dass es besser wird.
Jens Jüttner hat über seinen Weg ein Buch geschrieben, das so heißt, wie er die Jahre der Krankheit erlebt hat: Als ich aus der Zeit fiel (1). Er wünscht sich, dass davon auch ein Signal für andere ausgeht.
Jens Jüttner:
Denn ich möchte in einer Gesellschaft leben, wo sich keiner dafür schämen muss, krank zu sein und wo wir offen und tolerant auch mit Menschen umgehen, die vielleicht ein bisschen abseits der Norm leben.
Abseits der Norm gibt es die interessantesten Geschichten. Die Geschichte von Jens Jüttner macht mir Mut. Denn sie erzählt, dass wir Menschen die Kraft haben, Krisen durchzustehen und unser Leben zu verändern.
Es gilt das gesprochene Wort.
Literatur dieser Sendung:
- Jens Jüttner: Als ich aus der Zeit fiel. Mein Weg durch die paranoide Schizophrenie, pinguletta Verlag; 3. Ausgabe Edition (20. Mai 2020).