Gemeinfrei via pixabay / Sebastiaan Laan
Advent - Annäherungsversuche an den Himmel
Sweet Sounds of Heaven
10.12.2023 07:35
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Vor 55 Jahren bekundeten die Rolling Stones noch Sympathien für den Teufel. Der Song „Sympathy for the Devil“ gehört zu ihren Evergreens. Aber inzwischen sind die Stones-Musiker keine jungen Wilden mehr, sondern um die 80 Jahre alt. Da verschieben sich die Perspektiven. Noch etwas ist passiert: Vor zwei Jahren starb der langjährige Drummer der Band Charlie Watts. Das stellt einem die Endlichkeit konkret vor Augen – auch die eigene. Und es wirft tiefgründige Fragen auf: Wohin führt mein Leben? Und was davon wird bleiben? Diese Fragen zielen über den sichtbaren Horizont des Lebens hinaus. So wundert es nicht, dass sich die Stones auf ihrer neuen Single weniger für den Teufel, sondern mehr für den Himmel interessieren. Internationale Musikmagazine feiern den Song als „freischwebende Seelenreise mit Gospel-Gefühl“. Auch mir gefällt der Song sehr gut. Zum einen, weil er voller Spiel- und Lebensfreude ist. Zum anderen, weil ich darin das große Thema der Adventszeit erkenne: die Sehnsucht nach der Nähe Gottes. In dem Song unternimmt der Rock-Veteran Mick Jagger eine musikalische Erkundungsreise zwischen Himmel und Erde. Dabei lässt er sich begleiten von der fast 40 Jahre jüngeren Lady Gaga. Ihre Stimme klingt – passend zum Thema - mal nach Rockröhre und mal nach Engelsgesang. Der Song trägt den Titel „Süße Himmelsklänge“, „Sweet Sounds of Heaven“.

Songtext von Rolling Stones mit Lady Gaga, Sweet Sounds of Heaven:

 „I feel the sweet, sweet sounds of Heaven comin' down (Comin' down), comin' down (Comin' down) to the earth (From the earth).“

 

Wenn ein altgedienter Musiker wie Mick Jagger über den Himmel nachdenkt, dann spielen Musik und Klänge natürlich eine große Rolle. Dabei zeigt ein kleines Wortspiel, womit er in dem ganzen Song ringt. Während Lady Gaga singt: „Ich fühle die süßen Klänge des Himmels, die auf die Erde herunterkommen“, wirft Mick Jagger am Ende ein: „die von der Erde kommen“. Himmel und Erde im Gegenüber, sinnbildlich für Gott und die Menschen – wie kommen sie zueinander?

An diese Frage tastet sich Mick Jagger in dem Song heran. Nicht logisch wie ein Physiker, sondern assoziativ wie ein Poet und scheu wie einer, der dem Göttlichen gleichzeitig näherkommen und fernbleiben will. Wie er empfinden viele.

Es geht also um Annäherungsversuche an das Himmlische, an Gott. Dafür bringt Mick Jagger ein, was er in seinem westeuropäischen Kopf findet: griechische Mythologie und natürlich manches aus dem Christlichen. Biblische Bilder sind dabei. Sie erzählen davon, wie Gott auf die Menschen zugeht. So singt Jagger von Brot und Wein, also von der Begegnung mit Christus im Abendmahl. Aber Mick Jagger ist unentschlossen, er wägt in dem Song ab: Soll er wirklich auf Gott hoffen? Kann er das überhaupt? Oder setzt er doch lieber ganz auf sich selbst? Dieses Hin und Her prägt auch seinen Gesang über den Segen. Eigentlich geht der Segen von Gott aus. Segen ist Gottes Zuspruch für die Menschen. Doch Mick Jagger dreht das um. Er singt vom Segen für Gott, den Vater und den Sohn. Damit wirft er die Frage auf, die bei Debatten zwischen Gläubigen und Atheisten stets zum Kern führt: Wer hat wen geschaffen? Gott die Menschen oder die Menschen Gott? Wer braucht also wen? Und wer segnet wen?

Songtext:

 „Bless the Father, bless the Son. Hear the sound of the drums as its echoes through the valley bursts, yeah. Let no woman or child go hungry tonight. Please protect us from the pain and the hurt, yeah.“

 

Am Ende dieser Strophe geht Mick Jagger für einen Moment in die Haltung eines Fürbittengebets. Er bittet darum, dass heute niemand hungern muss. Und er singt: „Schütze uns vor Schmerz und Verletzung.“ Ein Gebet ist ein Annäherungsversuch an das Himmlische. Wird Gott also doch gebraucht? Jedenfalls schwingt in diesen Zeilen die Einsicht mit: Ich kann mein Leben nicht alleine machen. Ich brauche etwas, ich brauche Zuspruch und Hilfe. Wir Menschen bekommen die Welt alleine nicht in den Griff.

Wir brauchen etwas, wir brauchen Orientierung und Hoffnung. Himmel, hilf!

Nachdem er sich kurz als Beter versucht hat, geht Mick Jagger schnell wieder auf Distanz. Er betont seine Eigenständigkeit: Ich entscheide. Ich mache mich nicht abhängig von irgendetwas Jenseitigem, Himmlischen! Noch einmal spielt der Song auf das Abendmahl an: Brot und Wein – doch damit stillt nun nicht Gott den seelischen Durst der Gläubigen. Das wollen Mick Jagger und Lady Gaga vielmehr selbst tun. An trotzigen und selbstbewussten Tönen fehlt es also nicht. Die beiden singen: „Nein, ich werde nicht in die Hölle gehen. Und ich werde nicht untergehen im Dreck. Ich werde lachen. Ich werde weinen, das Brot essen, den Wein trinken, weil ich endlich meinen Durst lösche.“ Da kommt sehr viel ICH zusammen.

Songtext:

No, I'm not, not goin' to Hell. In some dusty motel. And I'm not, not goin' down in the dirt (Yes, yes, yes) I'm gonna laugh, I'm gonna laugh, I'm gonna cry, I'm gonna cry. Eat the bread, drink the wine 'cause I'm finally, finally quenchin' my thirst, yeah.“

 

Aufstehen, stolz auf sich selbst sein, laut sein. Dazu fordert der Song in der folgenden Strophe auf: „Lass die Musik laut erklingen. Lass sie durch die Wolken dringen.“ Mit den eigenen Klängen wollen die beiden also weit in den Himmel vordringen. Doch auch in diese selbstbewusste Haltung mischen Mick Jagger und Lady Gaga Irritationen hinein, denn sie singen weiter: „Wir alle spüren die Hitze der Sonne.“ Ich bin sicher: Damit spielen sie auf die Geschichte vom Ikarus an, aus der griechischen Mythologie. Ikarus‘ Vater Dädalus hatte für die beiden Flügel aus Federn und Wachs gebaut. Damit hoben Vater und Sohn Richtung Himmel ab. Ikarus war vom Fliegen so begeistert, dass er die Warnungen seines Vaters missachtete und immer höher flog. Dabei kam er der Sonne zu nahe. Das Wachs in seinen Flügeln schmolz und Ikarus stürzte ab. Er ist das antike Sinnbild für den allzu respektlosen Menschen, der seine Grenzen nicht kennt. Auch das ist ein Annäherungsversuch an das Himmlische – der allerdings scheitert an der eigenen Selbstüberschätzung. Um die geht es bei Mick Jagger auch in einer weiteren Songzeile, die wohl sehr persönlich zu verstehen ist. Der 80-Jährige singt: „Lass die Alten weiterhin glauben, dass sie jung sind.“ Darüber kann man schmunzeln – und staunen, wie galant Mick Jagger Selbstüberschätzung in sympathische Selbst-Ironie verwandelt.

Songtext:

Let the music, let the music play loud, play loud. Let it burst, let it burst through the clouds, through the clouds. And we all feel the heat of the sun, yeah. Yeah. Let us sing, let us shout, let us shout. Let us all stand up proud. Let the old still believe that they're young.“

 

Der Song beschreibt mehrmalige Annäherungsversuche an den Himmel - näherkommen und wieder zurückweichen. Am Ende steht die Frage: Was habe ich von Gott zu erwarten? Interessiert sich Gott überhaupt für mich und die Welt? Als Antwort singt Mick Jagger: „Höre die Götter oben vom Himmel lachen, während sie hinunterfallen, hinunter fallen auf diese Erde.“ Damit spielt er erneut auf die griechische Mythologie an. Darin ist der Olymp das göttliche Hauptquartier. Dort tummeln sich allerlei Göttinnen und Götter. Sie spielen ihre Spielchen mit den Menschen und lachen über deren Elend. Doch manche der Götter fallen auf die Erde, hinausgeworfen, gescheitert. Darin höre ich die deprimierende Botschaft: „Eher stürzen die Götter auf die Erde, als dass die Menschen zum Himmel kommen.“

Darüber spricht die Bibel zum Glück anders. Sie bezeugt nur einen Gott. Und der interessiert sich sehr für seine Schöpfung, namentlich auch für die Menschen, jede und jeden einzelnen. Der biblische Gott stürzt nicht gescheitert vom Himmel. Im Gegenteil: Gott kommt freiwillig auf die Erde - aus Liebe. Daran erinnert der Advent, die Zeit der Vorfreude auf Weihnachten. Denn das Weihnachtsfest feiert die Ankunft Gottes in der Welt. Gott wird in einem kleinen Kind geboren, genannt Jesus Christus. Der ist als Gottes Sohn ganz Himmel und als Menschensohn ganz Erde. In ihm sind Himmel und Erde vereint. Himmel und Erde zusammen - das hat Gott also bereits begonnen. Und Gott wird es dereinst auch zu Ende bringen.

Aus christlicher Sicht hat der Advent eine doppelte Botschaft. Zum einen ganz irdisch: die Vorfreude auf das Christuskind, das die Liebe Gottes lebt. Zum anderen bringt der Advent eine ganz himmlische Botschaft mit: Jesus wird irgendwann wiederkommen, zum Ende aller Zeiten, zum großen Finale. Dann überführt er das Leben in das Himmelreich. Erde und Himmel finden zueinander. Das ist der große christliche Ausblick.

Großes Finale – darauf läuft auch der Song der Rolling Stones zu. Leise hatte er angefangen und war immer wuchtiger geworden.

Zuletzt untermalt der Song voller Pathos den Sturz der gefallenen Götter. Doch dann geschieht etwas Unerwartetes.

Songtext:

„Hear the gods laughin' from above of Heaven. Fallin' down, fallin' down to this earth, oh, oh, oh, oh. Let me lay down and sleep. Yeah, yeah, Heaven, Heaven. Ooh, ooh, ooh“

 

In die letzten Klänge hinein singt Mick Jagger beiläufig und fast schon zum Überhören: „Lass mich hinlegen und schlafen, Himmel.“ Ist das eine Vorahnung auf den Tod? Jedenfalls wird man sich zu gegebener Zeit daran erinnern.

Im Internet spekuliert ein Influencer darüber, ob Jagger eine Chance habe, in den Himmel zu kommen. Er meint nein, denn Mick Jagger erfülle mit seinem Lebenswandel nicht die Kriterien der katholischen Kirche. Dagegen wende ich ein, dass die Zulassungskontrolle zum Himmel weder der katholischen noch der evangelischen oder einer anderen Kirche obliegt.

Das liegt nach meinem Glauben alleine in der Hand von Jesus Christus. Und der mag, soweit ich es weiß, Menschen, die sich auf die Suche nach Gott begeben. Gläubige sind immer nur Suchende und Hoffende – mehr nicht. Das genügt auch. 

Bei mir verstärken sowohl der Song als auch die Adventszeit die Hoffnung, mehr Himmel auf die Erde zu bekommen. Möglichst nicht erst am Ende aller Zeiten, sondern gerne auch schon jetzt. 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Musik dieser Sendung:

1 – 6 : Rolling Stones mit Lady Gaga: Sweet Sounds of Heaven (Klavier: Stevie Wonder)