Tag der Widersprüchlichkeiten

Wort zum Tage

Gemeinfrei via unsplash/ Alessandro Armignacco

Tag der Widersprüchlichkeiten
von Militärdekan Dirck Ackermann
16.05.2024 - 06:20
17.03.2024
Militärdekan Dirck Ackermann
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Diesen Tag im Elsass werde ich nicht vergessen.

Eine bezaubernde Landschaft. Das Elsass: abwechslungsreiche Natur mit Bergen, sanften Hügeln und der Rheinebene. Städte, die aus einer Märchenwelt zu stammen scheinen: Fachwerkhäuser, kleine Stadtmauern, Burgruinen, Kirchen aus dem Mittelalter. Schier endlose Blicke in Weinberge. Winzerdörfer, in denen ich gutes Essen und Wein genießen kann. Einmal die Seele baumeln lassen. Es geht mir gut.

Wenn da nicht der Blick in die Zeitung mich täglich aus diesem Traum reißen würde mit den Bildern vom Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten. Schreckliche Nachrichten an diesem schönen Flecken Erde.

Mit diesen widersprüchlichen Gefühlen besuche ich Kaysersberg. Wieder so ein zauberhafter Ort mit romantischen Gässchen. Hier wurde Albert Schweitzer geboren, der Theologe, Organist und „Urwalddoktor“, wie er in unserem Reiseführer regelmäßig betitelt wird. Wir gehen zur Kirche. Das romanische Portal hält unsere Blicke lange gefangen. Daneben ein Schild mit dem Leitwort Albert Schweitzers: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ Wie wahr, denke ich. Wie wahr gerade in dieser Zeit.

Ich lasse meinen Blick nach links schweifen. An der Ecke der Kirche steht ein Schild. „Memorial“. Eine Gedenkstätte für Kriegstote? Mitten in diesem kleinen Ort? Neugierig gehe ich zum Schild, blicke um die Kirchenecke. Tatsächlich: An die 20 Kriegsgräber zähle ich auf dem kleinen Friedhof. In einer Reihe aufgestellt.

Zeugnisse der Kämpfe aus den Weihnachtstagen 1944. Ich lese die Sterbedaten: 16. Dezember 1944, 24. Dezember, 26.Dezember. Die Daten lassen mich erschauern: Getötet kurz vor und an Weihnachten.

Die Grabmäler sind ganz unterschiedlich. Kreuze stehen neben Grabplatten mit arabischer Inschrift. Unter den Franzosen, die gegen Nazi-Deutschland gekämpft haben, waren auch viele aus Algerien, Tunesien und Marokko. Hier liegen Muslime und Christen, Menschen verschiedener Herkunft und Religion nebeneinander. Sie liegen Seite an Seite, weil sie für die gleiche Sache gekämpft haben: „Für die Freiheit“ heißt es in einer Widmung.

Was für ein Widerspruch: Menschen sterben für die Freiheit. Aber sie tun es über die Grenzen der Religion hinweg.

Albert Schweitzer schrieb: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ An diesem Tag, an diesem Ort denke ich: Wenn Menschen anderen das Lebensrecht absprechen, müssen wir Christen, Juden und Muslime gemeinsam Widerspruch erheben und gemeinsam für das Leben eintreten.

Es gilt das gesprochene Wort.

17.03.2024
Militärdekan Dirck Ackermann