Sommer 1914. Eine Hochzeit auf dem Land. Das junge Paar denkt, die Zukunft liegt ihnen zu Füßen. Zwei Monate später beginnt der Erste Weltkrieg. Der Mann muss an die Front. Ein Ritual jeden Abend hilft den beiden.
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In diesen Zeiten macht sich bei mir manchmal eine Untergangsstimmung breit. Ich werde den Eindruck nicht los: Die lange Friedensperiode, in der ich leben durfte, kommt an ihr Ende. In solchen Momenten helfen mir die Erinnerung an meine Großeltern und ein Psalm.
Meine Großeltern haben im Juni 1914 geheiratet. Eine Hochzeit bei herrlichem Sommerwetter auf dem Lande. Für meinen Großvater das glückliche Ende einer langen schwierigen Zeit, so dachte er. Sein Vater war auf See geblieben, als er acht Jahre war. Das bedeutet für meinen Großvater: Kindheit in ärmlichen Verhältnissen. Früh die Heimat verlassen. Landwirtschaftslehre. Und dann endlich: mit Anfang 20 Verwalter auf einem kleinen Landgut. Und nun Hochzeit mit der Tochter einer wohlhabenden Familie des Ortes. Eine gute Zukunft auf dem Lande mit einer wunderbaren Frau und vielen Kindern. So die Hoffnung im Sommer 1914.
Doch nur zwei Monate später sah alles anders aus. Mobilmachung in Deutschland. Der Erste Weltkrieg begann. Mein Großvater ging an die Westfront. Kein junges Eheglück. Stattdessen über vier Jahre Krieg mit Millionen von Toten und grässlichen Gemetzeln. Meine Großmutter hat mir erzählt, wie schwierig diese Jahre für sie waren.
Als Kind habe ich noch nicht viel verstanden. Aber eine Erzählung ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Als mein Großvater in den Krieg zog, haben meine Großeltern folgendes vereinbart. Jeden Abend um eine bestimmte Zeit werden beide - jeder und jede für sich - den Psalm 23 beten. "Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln…"
Dieses gemeinsame Beten zur gleichen Zeit mit den gleichen Worten hat die beiden verbunden. Der Psalm hat ihnen Trost und Halt in diesen schrecklichen Zeiten gegeben. "Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir."
Psalm 23. Das ist mein Konfirmationsspruch, kein Zufall. Ich bete ihn in unruhigen Momenten. Wie damals meinen Großeltern schenkt er mir Ruhe und Halt. "Denn du, Gott, bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich."
Meine Großeltern fühlten sich durch diese Worte getragen. Sie haben darauf vertraut: Gott begleitet sie durch die Irrnisse und Wirrnisse. Auch nachdem mein Großvater aus dem Krieg zurückgekommen war, blieb der Psalm 23 ein Gebet, das die beiden verbunden hat ihr Leben lang.
"Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar." Gut, dass es solche Erinnerungen und Worte gibt.