Gemeinfrei via Unsplash/ Wolfgang Hasselmann
Schande. Vergeltung. Und dann? Unser Autor war an einem Ort, an dem Menschen lernen, den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen.
Schande und Vergeltung?
Der tödliche Kreislauf von Gewalt und neuer Gewalt
30.10.2025 06:20

Schande. Vergeltung. Und dann? Unser Autor war an einem Ort, an dem Menschen lernen, den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen.

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Orte des Krieges gibt es viele. Ich suche nach Orten, an denen Menschen sich verständigen und versöhnen. In diesem Sommer bin ich zum Gut Kreisau gereist. Das liegt in Polen. In der Nazi-Zeit traf sich hier regelmäßig zu Pfingsten der sogenannte Kreisauer Kreis. Eine Widerstandsgruppe gegen das Hitler-Regime.

Ich fahre bei Sommerwetter durch die sanfte Hügellandschaft Niederschlesiens. Das Gut Kreisau erstrahlt in warmem Sonnenlicht. Ich gehe die herrschaftlichen Treppen hinauf und blicke auf zwei Wandfresken.

Auf der einen Seite ist eine Szene dargestellt: Marodierende französische Soldaten ziehen durch das Burgtor der Hansestadt Lübeck. Rechts unten im Gemälde sehe ich einen Jungen. Er blickt mit Schrecken auf das Geschehen. Neben ihm seine Mutter. Sie weint und hat ihren Kopf an die Schulter ihres Ehemanns gelehnt. Das Fresko erinnert an die Besetzung Lübecks durch die napoleonischen Truppen 1806. Der Junge ist der spätere preußische Feldmarschall Moltke. Er hat als Kind die Besetzung erlebt.

Auf der anderen Seite das Gegenstück. Dieses Wandgemälde zeigt den Einmarsch der preußischen Armee in Paris während des deutsch-französischen Krieges 1871. Im Hintergrund der Arc de Triomphe, Monument für Siege Napoleons. Im Vordergrund eben jener preußische Feldmarschall Moltke. Am Bildrand wieder ein Junge, diesmal ein Franzose. Auch er erschrocken über die fremden Soldaten.

Zwei Fresken. Das eine trägt den Titel "Schande", das andere "Vergeltung". Beide entstanden zum 100. Geburtstag des Feldmarschalls um 1900. Die Bilder sind Zeugen des damaligen Zeitgeistes. Auf Schande muss es Vergeltung geben.

Wir wissen heute, was daraus folgte. Erstaunlich ist der Junge auf beiden Bildern. Trotz des Vergeltungsdenkens zeigt er: Krieg ist immer schrecklich. Und Kinder leiden besonders.

Ich weiß nicht, ob das die Absicht des Künstlers war. Aber ich sehe in seinen Fresken die Trauer: Da erlebt ein Kind die Schrecken des Krieges und wird dann selbst ein Feldmarschall und fügt einem anderen Kind den Schrecken zu, den es damals erlitten hat. Ist das ein ewiger Kreislauf von Gewalt und Leid? Kann man ihn durchbrechen?

Auf dem Gut Kreisau wird das heutzutage versucht. Seit 1998 ist es eine internationale Begegnungsstätte für Jugendliche. Hier treffen sich junge Menschen aus Europa. Sie lernen: Verständigung ist möglich über Grenzen hinweg. Gut so. Das ist wichtig gerade in diesen Zeiten.

Es gilt das gesprochene Wort.

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