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Demokratie unter Druck
Wie akzeptiert man die demokratische Wahl eines Präsidenten, der wenig Wert auf demokratische Prinzipien legt?
08.11.2024 06:35

Gradmesser für die Demokratie ist die freie Wahl – aber auch, ob die Gewählten demokratisch mit dem Ergebnis umgehen. Martin Luther warnte vor grenzenloser Macht.

 
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Nicht nur die freie Wahl ist ein Gradmesser für die Demokratie, sondern erst recht der Umgang mit ihrem Ergebnis. Das gilt für diejenigen, die gewählt wurden, und für alle, auf die sich die Wahl auswirkt. 
In dieser Woche steht die Demokratie doppelt unter Druck nach der US-Wahl und dem Ampel-Aus. Selten hat uns eine Wahl derart in Atem gehalten wie die amerikanische. Es ging eben nicht nur um die Alternative Kamala Harris oder Donald Trump. Für viele steht die Zukunft der Demokratie auf dem Spiel. Nachdem eine deutliche Mehrheit sich für Trump entschieden hat, herrscht Ratlosigkeit. Und die wird mit dem Bruch der Ampel-Koalition in Deutschland nicht ge-ringer. Jetzt kommt noch das Problem hinzu, wie wir bei den nun anstehenden Wahlen damit umgehen, wenn rechtspopulistische Stimmen zunehmen.
Mir persönlich fällt der Umgang mit dem Wahlausgang in den USA schwer. Einerseits weiß ich: Die Demokratie lebt von der Toleranz. Ich kann mit großem Engagement für meine Überzeugung eintreten. Aber wenn die Mehrheit zu einem anderen Ergebnis kommt, muss ich das mittragen. Was aber, wenn ein gewählter Präsident keinen Wert auf demokratische Regeln legt und das deutlich ausdrückt? Wenn er die Wahrheit nach Belieben biegt oder sie nur akzeptiert, wo sie ihm nützt, wenn er lügt, sogar rechtskräftig verurteilt wurde und die Spaltung der Gesellschaft weiter vorantreibt? 
Das alles wussten diejenigen, die ihm ihre Stimme gegeben haben. Mich schockiert: Trotz oder sogar wegen dieser Haltung haben viele Menschen Trump gewählt.
Wie also soll ich mit der Wahl einer Person umgehen, die so offensichtlich demokratische Prinzi-pien verhöhnt? Für mich ist das ein Dilemma: Als Demokrat respektiere ich das Votum der Mehr-heit. Aber gleichzeitig kann ich es als Christ doch nicht akzeptieren, wenn ein Gewählter von Massendeportation schwadroniert, Hass und Angst schürt und Journalisten einschüchtert.
Ein Weg aus diesem Dilemma deutet für mich der Römerbrief an. Dort, im Neuen Testament, schreibt Paulus über das Verhältnis zur staatlichen Ordnung. (Römer 13) Dabei geht der Apostel grundsätzlich von einer Achtung für die Staatsmacht aus, schon um der Ordnung willen. Zu-gleich aber weist er daraufhin, dass alle Machthaber nichts anderes als Diener sind, Diener des Volkes und Gottes. Sie sind deshalb zum Guten verpflichtet. 
Es gibt also einen Maßstab, an den Kaiser damals und Präsidenten heute gebunden sind. Ge-meint sind damit die Werte zum Wohl der Menschen: Dazu gehören Friedfertigkeit, Aufrichtig-keit, Toleranz, Gerechtigkeit und einige mehr. 
Einer, der den Spagat von Machthabern zwischen Dienst und Willkür selbst zu spüren bekam, war Martin Luther. In seiner Auslegung des Römerbriefs plädiert der Reformator deshalb dafür: Man solle die Obrigkeit zwar respektieren, aber genau darauf achten, Zitat, "wie lang ihr Arm und wie weit ihre Hand reiche, dass sie sich nicht zu weit erstrecke und Gott in sein Reich und Regiment greife". Denn, so hatte Luther am eigenen Leib erfahren, "unerträglicher und gräuli-cher Schaden folgt daraus, wo man ihr zu weit Raum gibt".
Am Ende liefert der Reformator vor genau 500 Jahren ein Argument, das wieder aktuell er-scheint. Wörtlich schreibt er: "Denn wer das für Recht glaubt, was unrecht oder ungewiss ist, der verleugnet die Wahrheit, die Gott selbst ist, und glaubt an die Lügen und Irrtümer."
Unter diesem Vorbehalt kann ich das Ergebnis einer demokratischen Wahl mittragen, bleibe aber gleichzeitig hellwach, was die Folgen betrifft. Denn es geht darum, dass der Arm eines Machthabers nicht grenzenlos weit reicht. Dass nicht die Willkür regiert, sondern es demokrati-sche Kontrolle gibt. Denn nicht nur die freie Wahl ist ein Gradmesser für die Demokratie, son-dern erst recht der Umgang mit ihrem Ergebnis. 

Es gilt das gesprochene Wort.

Literaturangaben:
(1) Martin Luther (1523): Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei. www.luther2017.de/de/martin-luther/texte-quellen/lutherschrift-von-weltlicher-obrigkeit-wie-weit-man-ihr-gehorsam-schuldig-sei/ 
 

 

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