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Vor Sonnenaufgang
Die Schönheit der Dunkelheit
10.01.2025 06:20

Finsternis hat einen schlechten Ruf. Zu Unrecht, findet unsere Autorin.

 

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Kerzen, Goldsterne, Lichterketten. In einigen Fenstern stehen und hängen sie nach wie vor. In der Weihnachtszeit kann es gar nicht genug Licht sein. Auch ich mach da gern mit. Alles soll leuchten: der Christbaum und die Kindergesichter und Gottes Angesicht über uns. Licht soll das Dunkel erhellen und dann eine Spur Glitzer über alles.

Sehr verständlich im Winter, wenn es draußen grau ist und die Nächte so lang. Andererseits unterschätzt das die Schönheit, die die Dunkelheit haben kann.

Das Dunkel steht in der Bibel oft für das Schlechte. Im Buch der Sprüche heißt es zum Beispiel: "Der Gottlosen Weg ist das Dunkel." (Sprüche 4,19) Es gibt aber auch Bibelstellen, bei denen ist das Dunkel der Ort, an dem Gottes Handeln besonders erfahrbar wird.

Ostern, die Auferweckung Jesu vom Tod, passiert zum Beispiel in völliger Dunkelheit, irgendwann zwischen Abenddämmerung und Tagesanbruch. Niemand sieht etwas, niemand hört etwas. Gott holt seinen Sohn nicht im Rampenlicht aus dem Tod ins Leben. Sondern in der Verborgenheit der Nacht.

Licht ist ja oft eine Metapher. Dafür, dass etwas sichtbar wird. Dafür, dass der sichere Tag anbricht im Unterschied zur unberechenbaren Nacht. Dafür, dass Orientierung leichter möglich ist. Dass es warm, hell und einsehbar wird.

Doch die Metapher hinkt. Denn mal verhüllt Dunkelheit die Dinge, aber manchmal wird etwas erst in der Dunkelheit sichtbar. Die Sterne zum Beispiel. Auch sie bieten Orientierung, aber verschwinden im hellen Licht der Sonne.

Beim Winterwandern in den Bergen kann ich manchmal vor lauter Licht gar nichts mehr sehen: Weißer Schnee reflektiert die Sonne und ich erkenne weder, wo der Berg anfängt, noch, wo der Himmel aufhört. Ich kann nur geblendet die Augen schließen. Im Grunde ist es egal, ob ich geblendet vor Helligkeit oder vor lauter Dunkelheit nichts erkennen kann.

Da, wo ich nicht sehe, was auf mich zukommt, muss ich damit rechnen, dass unvorhersehbare Dinge geschehen können. Unvorhersehbar Schreckliches, aber eben auch unvorhersehbar Schönes. Wenn ich nichts erkennen kann, dann muss ich mit allem rechnen. Dann darf ich aber auch mit allem rechnen.

Die Nächte sind zurzeit noch lang. In meiner Stadt München geht die Sonne erst um 8 Uhr auf. Es ist noch dunkel, wenn ich aufstehe. Noch ist der Tag in die Dämmerung eingehüllt und verborgen, was er mir bringt. Wenn im Halbdunkel morgens die Tram auf sich warten lässt, nehme ich mir den Moment für das kurze Gebet: "Gott, ein neuer Tag liegt vor mir. Ich nehme ihn aus deiner Hand." Mit all den Schönheiten, die du hineinlegst. In sein Licht und in seine Dunkelheit.

Es gilt das gesprochene Wort.

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