Lieder vom Leben
Mit Ostern im Ausnahmezustand
19.04.2020 08:35
Sendung nachlesen:

Ostern geschah in der Nacht. Mitten hinein in die Dunkelheit. Mitten hinein in den Tod tritt das Leben. So beschreibt es das Evangelium nach Johannes:

 

Am ersten Morgen der Woche kommt Maria von Magdala früh, als es noch finster war, zum Grab und sieht, dass der Stein vom Grab weg war.

Als sie nun weinte, schaute sie in das Grab und sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu Füßen, wo sie den Leichnam Jesu hingelegt hatten.

Und die sprachen zu ihr: Frau, was weinst du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben.

Und als sie das sagte, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist.

Spricht Jesus zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast; dann will ich ihn holen.

Spricht Jesu zu ihr: Maria!

Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf hebräisch: Rabbuni!, das heißt: Meister

Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.

Maria aber von Magdala geht und verkündigt den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen,

und das hat er zu mir gesagt.

(Johannes 20, 1-18 in Ausschnitten - Lutherübersetzung)

 

Ostern kommt mitten hinein in die Katastrophe. Mitten in Trauer, Schmerz und Entsetzen. Mitten hinein mit einem Lied. Es klingt zaghaft, dunkel, verhalten. Wie von ganz weit her. Aus einer anderen Wirklichkeit. Es durchbricht unsere Realität.

 

 

Der Osterjubel in diesem Jahr ist verhalten. Die Passion hält an und mit ihr die fruchtbaren Bilder: Särge in endlosen Reihen aufgebahrt in provisorischen Leichenhallen. Überfüllte Intensivstationen. Menschen an Schläuchen. Verzweifelte Angehörige, die nicht einmal richtig Abschied nehmen können von ihren Liebsten. Das Wort von Ostern ist unglaublich in dieser Zeit: Auferstehung. Leere Gräber. Die Begegnung mit dem Auferstandenen, der mitten in die Schrecken des Todes sagt: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Der Tod hat keine Macht mehr über Euch! Das älteste Osterlied verbindet beides: Die Verzweiflung mit einem Funken Hoffnung, die Finsternis mit dem Licht, die Sehnsucht nach dem Verstorbenen mit dem Wiedersehen.

 

 

"Christ ist erstanden!" – das ist der Ruf, der Ostern überall erklingt. In Wort und Musik. Gesprochen und gesungen. Mit der Stimme, auf der Orgel, mit Posaunenchören. Gedämpft in diesem Jahr, weil Corona bedingt hierzulande keine Gemeindegottesdienste stattfinden dürfen. Dennoch werden sich gläubige Christen mit diesem Festruf begrüßen – und auf ihn antworten – trotzig, sehnsüchtig, hoffnungsvoll: "Christ ist erstanden – Er ist wahrhaftig auferstanden!"

Was wissen wir über diesen österlichen Choral? Gunter Kennel ist Landeskirchenmusikdirektor der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg. Er ist Theologe und Musiker, Komponist, Organist und befasst sich unter anderem auch mit Hymnologie – der Wissenschaft von christlichen Liedern.

 

Gunter Kennel:

"Christ ist erstanden" ist auf jeden Fall einer der ältesten Ostergesänge, die wir in deutscher Sprache haben. Das Lied ist schon sehr früh belegt – früh meint in diesem Fall das 12. Jahrhundert plus minus… Ostergesänge selber sind natürlich sehr viel älter, wie das christliche Singen sehr viel älter ist. Man bezeichnet dieses und andere Lieder dieser Gattung – nämlich alle, die mit Kyrieleis enden – aber volkssprachlich beginnen, die bezeichnet man als "Leisen" oder als "Leis." Also "Christ ist erstanden" ist der Osterleis oder die Osterleise und eine der ganz zentralen Gesänge und ganz zentralen Melodien unserer Tradition.

 

Ostern ist für die meisten ein fröhliches Fest. Man feiert die erwachende Natur, genießt das gesellige Beisammensein und die Freude der Kinder an Hasen und Ostereiersuche. Dieses Jahr ist vieles anders. Kirchen blieben geschlossen. Versammlungen sind weiterhin verboten, egal, ob zum Gottesdienst oder Osterfeuer. Kein Brunch mit Freunden, keine Reise über die Feiertage. Es ist ungewöhnlich still. Nur die Natur macht weiter wie gewohnt. So als gäbe es das Virus nicht. Ostern 2020 – das bedeutet weiterhin Sorge, Hoffen und Bangen, Abschiednehmen, Verlust. Krankheit und Tod. So als ginge die Passionszeit einfach weiter. Nicht nur hier bei uns – überall auf der Welt. Die Pandemie verbindet – auf tragische und bedrohliche Weise.

Umso mehr sollte Musik jetzt erklingen. Österliche Musik. Lieder, Choräle, die vom Leben erzählen – trotzig und hoffnungsvoll, leise und sehnsuchtsvoll und jubelnd laut. Osterlieder verbinden. In einer Sprache, die jeder versteht. Wie der Osterhymnus "Christ ist erstanden."

 

Gunter Kennel:

Dieses Lied gehört mit zu den Gesängen, die am weitesten verbreitet sind. Das stimmt. Wir haben also schon Quellen dieses Liedes in Europa schon im ausgehenden Mittelalter in der frühen Neuzeit nicht nur im deutschsprachigen Kontext. D.h. das Lied wurde dann auch in die jeweiligen Landessprachen übertragen. Also auch das ist eine – könnte man sagen – Erkennungsmelodie von Ostern, aber auch von Ostern wie es im deutschsprachigen Raum volkssprachlich gefeiert wurde. Bei dem Wort "Erkennungsmelodie" fällt mir natürlich sofort ein: Die Eröffnung eines evangelischen Kirchentags findet immer mit diesem Ruf durch die Bläser statt. "Christ ist erstanden" ist im Grunde das Motto eines jeden Kirchtags. Also auch hier nicht nur Erkennungsmelodie für Ostern, sondern überhaupt für Religion und gemeinsames Feiern.

 

"Christ ist erstanden" - die Erkennungsmelodie von Ostern. Wir können Sie hören, wir können Sie anstimmen. Auch von zuhause aus. Und uns dabei verbunden wissen mit Gläubigen überall auf der Erde. Osterlieder wie dieses treffen den Ton. Auch den Ton dieser besonderen Zeit:

 

Gunter Kennel:

Wir mit unseren Ohren und unserer Musikerfahrung, also mit unserer Hörerfahrung, hören diese Melodie schon sehr nahe an Moll – und Moll ist etwas, was verhalten ist, was traurig ist, was eine zurückgenommene Stimmung zum Ausdruck bringt. Diese Farben sind für unser Hörerleben auch in dieser Melodie drin und auch wichtig, dennoch sollte man wissen, dass die Ursprungstonart - das ist der sogenannte dorische Modus - das ist eine alte Kirchentonart, deren Wurzeln sogar bis in die Antike zurückreichen, der gilt eigentlich als eine kraftvolle Tonart. Der Anfang des Liedes beginnt nicht mit dem Grundton, sondern beginnt schon in erhöhter Lage und schwingt sich bis zur Oktav, also zum höchsten Ton, zur Wiederholung des Grundtons auf. Also auch das ist ein Signal. Etwas anachronistisch könnte man sagen: Fanfarenartig – wie es die Bläser beim Kirchentag tun, aber auch wenn man das Bild der Fanfare nicht verwendet, ist es schon ein starkes Bekenntnis, ein starkes Motto, was am Anfang steht, und dennoch ist das, wie wir das hören, und gerade in diesen Zeiten hören, ist nicht verkehrt. Das ist möglicherweise gerade das Faszinierende an diesem Lied, dass wir jetzt beide Aspekte: das Kraftvolle, das Strahlende, aber auch das Zurückgenommene, den Zweifel nicht ganz Vergessende auch in diesem Lied in dieser Zeit hören können und aus ihm hoffentlich wieder die Kraft schöpfen, die es transportieren soll.

 

Ein Osterlied aus England war das. Komponiert und dirigiert von John Rutter. Gesungen von den Cambridge Singers. Die Botschaft ist dieselbe wie die des alten christlichen Osterhymnus "Christ ist erstanden" - nur hier moderner, rhythmischer, unbeschwerter. Ein weiteres Osterlied, das die Länder verbindet, hat seine Ursprünge in den Niederlanden. Melodie und Text haben ihren Ursprung vermutlich bei den Mennoniten. Aus dieser Gemeinschaft bahnte es sich seinen Weg nach England um von da Anfang der 80er Jahre aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt zu werden. Jürgen Henkys hat den Text übersetzt und dem Lied so wie vielen anderen Glaubensliedern aus anderen Sprachen und Ländern in unser Evangelisches Gesangbuch verholfen:

 

Der schöne Ostertag! Ihr Menschen, kommt ins Helle!

Christ, der begraben lag, brach heute aus seiner Zelle.

Wär vorm Gefängnis noch der schwere Stein vorhanden,

so glaubten wir umsonst.

Doch nun ist er erstanden, erstanden, erstanden, erstanden.

 

Was euch auch niederwirft, Schuld, Krankheit, Flut und Beben –

Er, den ihr lieben dürft, trug euer Kreuz ins Leben.

Läg er noch immer, wo die Frauen ihn nicht fanden,

so kämpften wir umsonst.

Doch nun ist er erstanden, erstanden, erstanden, erstanden.

(EG 117, Strophen 1 & 2)

 

 

Osterlieder erzählen von beidem: vom Tod und vom Leben. Von Leiden und Krankheit - und von der Kraft der Auferstehung. Vom Gefangensein im Grab – abgeschnitten von aller Gemeinschaft, aller Kontakte beraubt – und vom Hinausgehen ins Freie, von unbeschwerter Freude, Jubel und Gemeinschaft. Das alles gehört zu Ostern und bahnt sich seinen Weg in der Musik. Osterlieder verbinden Menschen über Ländergrenzen und Kontinente hinweg.

 

Gunter Kennel:

Damit, finde ich, haben wir auch eine wunderbare Erweiterung unseres Gesangbuchs erhalten, dass es den Blick damit über unseren Kontinent hinaus eben weitet auf das, was in anderen Ländern geschieht und auch an Frömmigkeit und an religiösem Leben wieder zu uns zurückkommt und uns auch beschenkt.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Musik dieser Sendung:

  1. Giubileo, Philharmonia Orchestra, Feste Romane
  2. Christ ist erstanden, Michael Schütz, All of You
  3. Christ the Lord is risen again, City of London Sinfonia Orchester, John Rutter and the Cambridge Singers, Simon Wall, A Double Celebration
  4. This Joyful Eastertide, City of London Sinfonia Orchester, John Rutter and the Cambridge Singers, A Double Celebration
  5. I Giorni, Daniel Hope, Spheres