Wort zum Tage
Erinnerung an Heinrich Albertz
22.01.2015 05:23

Die Flüchtlinge gehören zu uns, schon lange! Keiner will und keiner kann zurück. Hören wir doch auf damit, diese deutsche Ängstlichkeit vor allem, was anders ist, zu pflegen. Übel sind die Ängste vor allem, was abweicht oder irgendwie anders ist`! Solche Sätze spiegeln die Grundhaltung eines Mannes, der im Nachkriegsdeutschland auf der Westseite und später in West-Berlin Geschichte schrieb: Heinrich Albertz, Pfarrer und eine Zeit lang regierender Bürgermeister in Berlin. Heute wäre er hundert Jahre alt geworden. Seine Wiege stand 1915 in Breslau, in einem konservativen Pastorenhaus. Dort wurde ihm bestimmt nicht gesungen, dass er einmal - nachdem der zweite Weltkrieg über Europa schlimmstes Leid gebracht hatte – erster Flüchtlingsabgeordneter im niedersächsischen Landtag 1947 werden sollte. Kaum ein Jahr später wurde er Flüchtlingsminister der Regierung. Seine Positionen und seine Person haben polarisiert. Prägnant und auch mit Schärfe formuliert war seine Haltung - ob es nun in der Flüchtlingspolitik, in der eigenen Partei oder in seiner evangelischen Kirche war. Faule Kompromisse um eines lieben Friedens willen und intransparente Kungeleien müssen ihm ein Graus gewesen sein. Immer wieder suchte er das offene, klare Wort. Sorge oder gar Ängste um sich selbst scheinen ihn so gut wie gar nicht beschäftigt zu haben. Und wo doch, wie seine Tagebuchaufzeichnungen erkennen lassen, da wird Albertz zum beherzten David, der keiner Angst erlaubt, so groß wie Goliath zu werden. Inhaftierungen und Verhöre hatte er unter dem Regime der Nationalsozialisten in Kauf genommen und erlitten. Es lag ihm fern, sich deswegen im Nachhinein zum gewaltigen Widerstandskämpfer zu stilisieren. Ganz im Gegenteil: nüchtern hat er auf die eigenen blinden Flecken und auf die Blindheit eines ganzen Volkes zurückgeblickt. Und der Verdruss über die Blindheiten der 70iger machte ihn sogar zu so etwas wie einem verzweifelten Wüstenrufer. Auch das redete Albertz nicht schön, sondern fand offene Worte für sein Scheitern hier und da. Den Stein immer wieder auf den Berg rollen, wie Sisyphos – das muss ihm ein Lebensgebot gewesen sein. Wichtiger aber war dem Pfarrer der Blick auf Christus am Kreuz, der auch gescheitert war – von außen besehen. Zu den Lebensspuren, die Heinrich Albertz gelegt hatte, gehört dieser Satz, den er im Kontext des Todes von Benno Ohnesorg 1967 einmal sagte: „ Ich war am schwächsten als ich am härtesten war.“ Heute, fast ein halbes Jahrhundert später, braucht dieses Land und braucht auch diese Stadt Berlin noch viel mehr die Stärke der Weichen und Stimmen wie die von Heinrich Albertz.

Sendungen von Pröpstin Christina-Maria Bammel