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Direkt neben dem Herd am Haken mit den Topflappen hängt ein kleines Küchen-Handtuch in leuchtendem blau-gelb. Ein Souvenir, mitgebracht vor Jahren von Elena, unserer ukrainischen Austauschschülerin. In das Handtuch hineingestickt ist ein niedliches Haus mit Schornstein und Sonne darüber. Sehe ich die kleine Sonne, denke ich an Elena und ihre Familie. Ihretwegen wollte Elena in der Ukraine bleiben, Krieg hin oder her. Nur ganz selten haben wir kurz Kontakt. Kleine Botschaften, die hin und hergehen. Das idyllische blau-gelb gerahmte Häuschen auf dem Handtuch hat nichts mit dem Ort gemeinsam, an dem Elena gerade manchmal mehr verzweifelt als erschöpft, manchmal mehr erschöpft als verzweifelt, auf ein Kriegsende wartet. Elena ist jetzt um die 23 Jahre jung und etwa so alt wie Daria, die genauso wartet. Daria allerdings in Berlin, wo sie noch einmal von vorn angefangen hat mit einem Jurastudium. Lernen, Studieren, Lesen – das hilft ihr, nicht verrückt zu werden über den Nachrichten, sagt sie, als wir uns gegenübersitzen. Daria erzählt, wie ihr manchmal die Kraft ausgeht. Zu Hause will sie möglichst niemanden damit belasten. Ich mache mir Sorgen um sie. Aber dann überrascht sie mich und meint: „Ich lasse mich nicht zwingen. Niemand und nichts kann mich zwingen aufzugeben. Ja, ich hasse es, tägliche Kriegsnachrichten ansehen zu müssen und doch nicht anders zu können. Ich hasse die furchtbare Ungewissheit; ich hasse sogar meine Angst vor allem, was vielleicht noch kommt. Ich hasse es, über verlorene Freunde zu weinen. Aber nichts und niemand kann mich zwingen, sie gewinnen zu lassen. Die Trauer, die Ungewissheit und die Angst: Sie werden nicht gewinnen!“ Daria macht es einem leicht zuzuhören. Ich atme aus und wünsche in diesem Moment für Daria und Elena, für alle Darias und Elenas, dass nichts und niemand ihre Stärke stiehlt. Und ich hoffe, Daria und Elena gehören zu der Generation, die schon bald zusammen mit vielen aus Europa und der ganzen Welt zerstörte ukrainische Städte und Dörfer wieder aufbauen. Das ist gut, wird aber nicht reichen. „Was“, das frage ich Daria „werdet Ihr genau brauchen? Der Blick nach vorn kann ja helfen. Daria antwortet schnell, aber bedacht: „Vertrauen!“. Ich hätte mit praktischeren Antworten gerechnet. Aber das mit dem Vertrauen leuchtet mir sofort ein. „Es braucht Zutrauen in das, was wir können. Das sind wir allen schuldig, denen die Zukunft und das zu Hause zerstört wurde.“ sagt sie. „Es braucht Vertrauen in die Nachbarländer, die uns helfen und unterstützen werden. Und es braucht euer Vertrauen in unser Land“, meint Daria zu mir. Sie hat Recht. Eine meiner Lieblingsstellen der Bibel heißt: „Werft euer Vertrauen nicht weg. Das hat den größten Lohn.“ (Hebr. 10,35) Darias Mut und Elenas Kraft. Grund genug, das Vertrauen niemals wegzuwerfen, sondern festzuhalten. Mut, Kraft und Vertrauen: Daran erinnert mich besonders die gestickte Sonne über dem Haus auf dem Handtuch am Herd.
Es gilt das gesprochene Wort.