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Ein Licht im Fenster am Friedhof
Sich trösten lassen
13.11.2024 06:20

Ein 80-jähriger Witwer trauert anders als die Frau, die kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes die Mutter verliert. Unsere Autorin erzählt von einem Ort, an dem die verschiedenen Trauerwege sich treffen. 

 

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Das letzte Laub raschelt bei jedem Schritt. Von den Bäumen tropft der Nieselregen. Die Gießkannen hängen ordentlich nebeneinander und klappern im Wind. Friedhöfe bekommen im November etwas mehr Besuch als sonst im Jahr. Da sind kleine Lichter auf den Gräbern, Steine mit der Aufschrift "Wir haben dich im Herzen", besonderer Blumenschmuck. 
Für die einen gehört das zu den Vorbereitungen für den Totensonntag später im Monat. Und selbst wem das Kirchenjahr mit seinen Gedenktagen nicht ganz so vertraut ist, in der nassen Nebelzeit geht es vielen Familien nah, wer fehlt, wer vermisst wird.
Manche Grabsteine erzählen etwas von der Geschichte des Menschen, der da gestorben ist; andere schweigen sich aus. Eigentlich steckt so ein Friedhof voller Geschichten. Es wäre schön, sie zu hören. Und die Geschichten derjenigen, die gerade durch Trauerzeiten gehen. 
Geschichten vom gelebten und gewesenen Leben, vom Loslassen und Neuanfangen. Gut, wenn sie erzählt und gehört werden. Das kann herausholen aus der Niedergeschlagenheit und Leere, die oft spürt, wer trauert. Wenn man in der Mitte des Lebens steht, ist für den Tod oder das Sterben wenig Platz. Es ist erstmal überhaupt nicht zu fassen, wenn zwischen Zukunftsplänen und Familiengründung der Tod einbricht. 
Menschen mit 20 oder 40 Jahren trauern anders als die Teenagerin oder der 80-jährige Witwer. Eine Frau verliert kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes ihre Mutter.  Ein Paar steht vor der Hochzeit, da stirbt der Mann. Ein Unfall reißt die Schwester aus dem Leben. Eben hat man noch große Lebenspläne gemacht. Die Nachricht vom Tod verändert alles. 
Worte finden für das Unfassbare. Einen Haltepunkt haben. Jemanden, der oder die zuhört und das, was eigentlich nicht auszuhalten ist, mit aushält. 
Im hinteren Teil des Friedhofs in meiner Nachbarschaft steht ein kleines Haus. Alt, aber liebevoll renoviert. In den frühen Abendstunden gehen da die Lichter an. Früher wurde von hier aus der Friedhof verwaltet. Heute ist in dem Haus ein kleines Café. Dort treffen sich Menschen aller Generationen. Wer trauert, findet hier ein offenes Ohr und sitzt dabei vielleicht zufällig neben jemandem, der an seinen Erinnerungen schreibt oder einfach an einer Mail. 
An den Wänden hängen Fotos und Kunstwerke. Es ist ein Haus voller Lebenszeichen. In den Gesichtern derer, die kommen, sind sie zu entdecken. Loslassen und Leben kommen hier zusammen bei Kakao, Tee oder Kaffee. 
Ich bin froh über jedes Haus, das leuchtet, um zu trösten und das Leben neu einzulassen. 

Es gilt das gesprochene Wort.

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