Wort zum Tage
Gemeinfrei via Unsplash/ Casey Horner
Staunen, lieben, loslegen - zum Abschluss der Schöpfungszeit
von Pröpstin Christina-Maria Bammel
04.10.2023 06:20
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Der lange Wanderweg aufwärts ist anstrengend. Doch mit einem Mal öffnet sich der Ausblick: Ein Hochtal im Sommerlicht liegt vor uns. Sagenhaft die Mischung aus Auenland und Märchenwald! Große Wiesen und kleine Holzhäuser schmiegen sich vor uns in die Landschaft. Umrandet das alles von prachtvollen Tannen, die Schatten auf den kleinen Weg geben. Unfassbar friedlich der helle Himmel über diesem Paradies zum Hineinspazieren. An der Sommerwiese flirrt, summt und wispert es munter durcheinander. Hier wird nicht maschinell, sondern mit der Hand ganz traditionell gemäht. Trollblume, gelbblühender Dreifuß und schwalbenwurziger Enzian. So heißt die Pracht in allen Farben, die da blüht, wird mir erklärt. Ich bin sofort berauscht und verliebt in dieses Hochtal des Isergebirges in Tschechien. In der Mitte murmelt der kleine Bach Jizerka über Steine. Nah am Ufer sitzen Menschen in der aufflammenden Abendsonne, lassen ein kleines Feuer brennen und singen ein paar Lieder. Sie haben den Tag über auf der Wiese und am Bach gearbeitet, haben das Paradies gepflegt und freuen sich jetzt über die Abendstimmung, so wie wir anderen Gäste auch. Die Paradiesgärtner machen das aus purer Freude an der Natur. In einem anderen Leben unten im Tal sind sie Banker, Erzieher oder Ärztin. Sie lieben diesen Ausgleich, stehen selbst oft staunend vor dem kalten Bachwasser, vor tellergroßen Steinpilzen und saftigen Blaubeer-Sträuchern. Sie bewundern die fast 140 Vogelarten, die hier vorbeikommen – manche, um zu bleiben. Schon bereitet der Sternenhimmel seinen großen Auftritt vor; wie gemalt in die Stille. Nur das Knistern des sehr kleinen Lagerfeuers am Bach ist zu hören. Das Funkeln am Himmel scheint unfassbar weit und nah zugleich. Hier soll einer der besten Plätze sein, um den Nachthimmel zu beobachten. Ein bisschen fühle ich mich wie Abraham, der mitten in der Nacht von Gott vor sein Zelt gerufen wurde.  Denn draußen war ein noch viel größeres, funkelndes Sternenzelt. Abraham staunt nicht nur darüber, sondern nimmt es als Zeichen, dass Gott noch viel mehr kann, als ein Mensch für möglich hält. Der Himmel ist ein Zeichen für Abraham: Da wird noch so viel Zukunft sein, bunt und zahlreich wie die Sterne. Und das Wunder geschieht für ihn: Seine Familie wird ein Segen. In meinem Sternenzeltmoment sehe ich noch ein anderes Wunder: wie dieser Ort mitten in Europa zwischen den Grenzen dreier Länder nichts anders als friedlich ist. Wie ein bergender Mantel voller Stille, die mir zur Andacht wird. Dieses abgelegene Paradies war vor über 300 Jahren mal Zuflucht für Geflüchtete. Heute ist es Zuflucht für alle, die nicht anders können als staunen über diesen Garten Eden auf der Höhe. Ich glaube, dass aus dem Staunen neue Liebe entsteht, zu allem, was uns anvertraut ist. Daraus wächst gemeinsame Kraft. Und damit beginnen die besten Wege, um als Menschheitsfamilie zu sorgen für Wasser, für Vögel und Wiese. Gottes Schöpfung wartet darauf.

Es gilt das gesprochene Wort.