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In der alten Mitte Berlins steht eine Kirche mit Doppelspitze. Ich komme täglich an ihr vorbei. Die Kirche war mal der Arbeitsplatz des prominenten evangelischen Dichters von Kirchenliedern. Paul Gerhardt. Er war hier angestellt als Pfarrer. Neben ihm sein Kollege, Kantor Johann Crüger. Unter dem Dach der Nikolaikirche bildeten sie eine musikalisch-dichterische Doppelspitze.
Eines ihrer Lieder, an der Nikolaikirche entstanden, hat diese Strophe: „Ermuntert euch und singt mit Schall Gott, unserm höchsten Gut, der seine Wunder überall und große Dinge tut.“ Paul Gerhardt hat mehr Kummer als Wunder erlebt. Den Dreißigjährigen Krieg, Pest, Hunger. Der Tod der vier von fünf Kindern im Hause Gerhardt tat sein Übriges.
Trotzdem danken? Paul Gerhardt hat Worte gefunden für den Kummer und für die Wunder. Das größte Wunder von allen war für ihn, auf Gott zu vertrauen, die Adresse, an die er seinen Dank senden konnte. Auch wenn ihm die elenden Verhältnisse bitter zugesetzt haben, verbittern wollte Paul Gerhardt nicht. Gott hört ja nicht auf mit der Fürsorge. Darum dichtet Paul Gerhardt, wie Gott gegen unsere Ängste vorgehen könnte: „Er gebe uns ein fröhlich Herz, erfrische Geist und Sinn und werf all Angst, Furcht, Sorg und Schmerz ins Meeres Tiefe hin.“
Paul Gerhardt, der zu seinen Lebzeiten wohl nie ein Meer gesehen hat, konnte daran glauben, dass Gottes Wurfkraft stärker ist als alles Fürchten. Worte mit Lebensmut wurden daraus, und Johann Crüger hat Töne dazu komponiert.
Heute ist Paul Gerhardts Sterbetag. Hin und wieder stelle ich mir auf meinem Heimweg vorbei an der Nikolaikirche vor, wie Paul Gerhardt nach einem Arbeitstag in seiner Gemeinde mit müden Schritten übers Kopfsteinpflaster nach Hause ging, vielleicht einen neuen Vers im Kopf. Hat er dann auch an der Kirche hinaufgeblickt? Eine Doppelspitze hätte er oben nicht gesehen. Die kam erst lange nach seinem Tod.
Ich finde es doppelt spitze, dass ich mit Menschen über die Zeiten verbunden bin, weil sie mir Worte, Rhythmus und Melodien hinterlassen haben. Wofür würde ich heute ein Danklied anstimmen? Weiß ich schon und summe beim Anblick der Doppelspitze vor mich hin: Nun danket all.
Es hätte Paul Gerhardt gefreut zu wissen, dass seine Lieder auch nach 300 Jahren Menschen noch berühren. Vielleicht wäre er sogar sprachlos vor Freude, hätte er gesehen, wie zum Beispiel am 3. Oktober 1990 hier in der Kirche gesungen wurde, dankbar, dass Berlin nicht länger geteilt, sondern eins in Freiheit ist. Das ganze Land. Vielleicht kommen Sie ja heute ebenfalls auf etwas, das ein Danklied wert ist. Summen geht natürlich auch.
Es gilt das gesprochene Wort.