Feedback zur Sendung? Hier geht's zur Umfrage!
Sendung zum Nachlesen
Wenn man in Berlin an der U-Bahnstation Nähe Brandenburger Tor auf der Rolltreppe langsam unter die Erde transportiert wird, ist genug Zeit, eines der Zitate oben an den Wänden zu lesen. Auch Michael Gorbatschows berühmt-bekanntes Statement ist hier ein für allemal sichtbar festgehalten. Seine Worte „Gefahren lauern auf diejenigen, die nicht auf das Leben reagieren“ sind noch besser bekannt als: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“. Ohne ihn, den besonnenen Staatsmann hätte nicht geschehen können, was damals, 1989, für einen unfassbar dichten Moment die Weltordnung aus den Angeln hob und doch das Attribut „friedlich“ erhielt. Eine Revolution. Den siebten Oktober vor 34 Jahren erinnere ich nur noch in einzelnen Bildern. Während an jenem Abend die einen hinter Republikpalast-Mauern das Sektglas hoben, um anzustoßen auf 40 Jahre DDR, hoben die anderen ihre Hände schützend vor den Kopf. Nur so konnten sie sich vor fliegenden Schlagstöcken schützen. Und das nicht nur auf Berlins Straßen. Es war der letzte Geburtstag eines bankrotten Landes. Schon seit Monaten war gesellschaftliche Gewitterstimmung bis in jene Herbstmomente hinein spürbar. Am 7. Oktober dann massenhafte Prügel und Angst. Einerseits! Und andererseits mit der Wucht der Gleichzeitigkeit das manifeste Gefühl bei mehr und mehr Menschen, bloß nicht mehr stillhalten zu wollen. Neben meiner Erinnerung an gespenstische, gewaltvolle Momente dieses Abends ist da tiefe Dankbarkeit für alle, die im richtigen Augenblick nicht verzagt hinter ihren Fenstern oder geschlossenen Wohnungstüren geblieben sind. Nur gewaltlos werden wir die Gewalt los. Das war der Realismus eines historischen Moments. Dass die, die demonstrierten, gewaltlos geblieben waren und die Gewalt insgesamt nicht weiter eskalierte, das nenne ich im Nachhinein ein Wunder. Ein Wunder, für das Gott damals Mitarbeiter gebraucht hat. Ich glaube, der besonnene Michael Gorbatschow war einer dieser Mitarbeiter. „Zeichen und Wunder sahen wir geschehn“ heißt es in einem evangelischen Lied. Ich kann in allem, was war, Gottes Spuren feststellen, wenn ich sie auch nicht beweisen kann. Besserwisserei braucht ohnehin niemand. Jahre mit so geglückten wie auch falschen Entscheidungen sind seitdem ins Land gegangen. Träume sind zerbrochen oder konnten endlich neu geboren werden. Was bleibt von jenem Oktobermoment? „Gefahren lauern auf die, die sich nicht mit dem Leben auseinandersetzen“, hat Gorbatschow allen mit auf den Weg gegeben. Gesellschaft und Leben zu gestalten, heißt sich miteinander auseinanderzusetzen, und dabei besonnen und vor allem gewaltlos bleiben. Das fällt nicht so vom Himmel, sondern muss eingeübt und erbeten werden. Ich setze darauf, Gott hört die Bitten derer, die in diesen Tagen und Monaten beides brauchen – Besonnenheit und Mut – um ihr Land in ein freies zu verwandeln.
Es gilt das gesprochene Wort.