Wort zum Tage
Gemeinfrei via Unsplash/ Adam Nemeroff
Die Kraft der sanften Antwort
von Pröpstin Christina-Maria Bammel
03.10.2023 06:20
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„Eine sanfte Antwort dämpft die Erregung, eine kränkende Rede dagegen reizt zum Zorn.“ Kann man in den Sprüchen der Bibel lesen. (Spr.15,1) Und im Buch der Sprüche stehen nicht einfach nur so Sprüche, sondern über Jahrhunderte geronnene Erfahrungen mit dem Leben in Gemeinschaft. Wie ich rede, entscheidet darüber, ob Türen knallen oder die Augen eines anderen Menschen wieder zu leuchten anfangen. Wie wir reden, entscheidet manchmal sogar darüber, ob daraus ein Krach oder eine Freundschaft fürs Leben wird. Dabei geht es nicht oberflächlich um beschwichtigendes oder besänftigendes Reden. So was wird in der Regel schnell durchschaut. Nicht erst seit biblischen Zeiten wissen Menschen, wie schwer sich oft eine sanfte Antwort finden lässt. Die soll ja so ankommen, wie sie im besten Falle gemeint ist: aufrichtig und zugewandt. Sie soll nicht grob, aber auch nicht harmlos und banal sein. Ein einziger falscher Zungenschlag kann unter Umständen eine noch so gut überlegte Antwort zunichtemachen. Wie wir reden ohne zu kränken, daran hängt das Mikroklima in Familien und auch der Spirit unserer Gemeinschaft. Reden ohne zu kränken! Nicht leicht, wenn das Tempo im Wortwechsel zunimmt und wir uns schnelle Antworten und Gegenreden zumuten. Es gibt diese Momente, da gelingt eine Antwort, weil sie sanft UND klar ist. Und sie verändert mit einem Mal die Luft. Mir fällt mein Erlebnis in der Post ein. Schon der Anblick der Warteschlange lässt meinen Mut sinken. Seit einer ganzen Weile steht eine Frau mit Kopftuch und eine zweite Frau mit langem Gewand vor dem scheinbar einzigen Mitarbeiter: Sie reden und reden und reden. Als die beiden Frauen sich dann doch vom Schalter verabschieden und Richtung Ausgang eilen, sagt jemand ziemlich laut: „Deutsch sollte man eben können, damit hier nicht alle aufgehalten werden.“ Die Beiden sind schon an der Tür und so gut wie draußen. Da kommt die Frau mit dem Kopftuch zurück, geht direkt auf die eine Stimme aus der Warteschlange zu und sagt in allerfreundlichstem Deutsch: „Wissen Sie, was Sie gerade gesagt haben, hat mich verletzt. Ich habe für meine Cousine, die gerade aus Syrien angekommen ist, übersetzt. Das ist nicht leicht und dauert. Tut mir leid, aber das war nötig. Und ich will jetzt nicht weiter gehen, ohne mich wieder mit Ihnen zu versöhnen.“ Die warten, sind wie vom Donner gerührt. Dann setzt die Frau mit dem Kopftuch noch dazu: „Kommen Sie mal her, ich muss Sie jetzt mal umarmen. Wir müssen uns doch vertragen.“ Alles geht ganz schnell!  Und dann ist sie weg. Der Nächste, der bedient wird, findet als erster seine Sprache wieder: „Ich glaube, Sie machen eine gute Arbeit.“ sagt er zu dem Mitarbeiter am Schalter. Der lächelt etwas verlegen. Alle wissen, ein paar anerkennende Worte löschen nicht einfach hässliche Sätze aus. Wo aber Menschen anfangen, klar und aufrichtig zugewandt zu sprechen, fängt sie schon an, die etwas freundlichere Welt.

Es gilt das gesprochene Wort.

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