Wort zum Tage
Wort zum Tage 04. 01.
04.01.2016 05:23

Christen sind vollkommen. Beinahe jedenfalls. Denn es gibt gute Menschen, es gibt bessere Menschen und es gibt Christen. Das sind doch die moralisch hochstehendsten Menschen, ohne Fehl und Tadel. Sonst wären es ja keine Christen. Das bilden viele Christen sich jedenfalls ein.  Diese Meinung begegnet mir immer wieder einmal bei Gesprächspartnern, die der Kirche eher fernstehen. Und dann erzählen sie, was sie einmal erlebt haben mit jemandem, der sich Christ nennt und jeden Sonntag in die Kirche rennt. Und siehe da: Der angeblich so vollkommene Christ kocht auch nur mit Wasser und verstrickt sich genauso in den Fallen des Alltagslebens wie die bösen, guten und besseren Menschen in seiner Umgebung auch. Dann hat man sie also bei ihrer Unvollkommenheit ertappt, diese Christen. Sie sind auch nicht besser als andere. Viel schlimmer: Indem sie sich Christen nennen,  sind auch noch eingebildet und hochmütig. Das meinen jedenfalls viele Kritiker der Christen. Aber in Wirklichkeit stehen die Dinge anders. Sicher sind viele Christen bestrebt, so viel Gutes zu tun, wie nur eben möglich ist. Das gehört zu ihren Überzeugungen, die sie übernommen haben, als sie Christen wurden. Aber durchaus nicht jeder, der viel Gutes tut, ist darum auch ein Christ. Mahatma Gandhi zum Beispiel gehörte sicher zu den ganz großen Vorbildern der Menschheit. Er war kein Christ. Aber vielleicht beinahe vollkommen. Und dann gibt es noch die vielen Menschen in der Nachbarschaft, die ohne viel Aufhebens einfach das tun, was sie als ihre Pflicht erkennen, auch wenn sie sich nicht als Christen verstehen. Sie sind der Vollkommenheit mindestens ebenso nahe wie jemand, der an Jesus Christus glaubt. Das anerkennen viele Christen auch. Sie bewundern sie und halten sich selbst nicht für vollkommen, sondern für ganz normale Menschen, die sich mühen und die scheitern, denen etwas gelingt und denen vieles misslingt. Der Unterschied ist: In allem erkennen Christen die Gnade Gottes, und die ist das Entscheidende. Nicht das Gute, das sie tun, macht sie zu Christen. Sondern der Glaube an Gott, der an ihnen Gutes tut, bevor sie selbst Gutes tun können. Ich weiß, dass ich unvollkommen bin. Vollkommen ist allein Gott. Aber er wendet sich mir Unvollkommenem zu. Darin zeigt sich seine Gnade. Die aber brauche ich, damit mein Leben gelingt. Ich werde und darf dabei unvollkommen bleiben – Gott sei Dank! Der Stuttgarter Theologe Gottfried Küenzlen hat einmal geschrieben: „Der Mensch ist das Wesen, das zum Gelingen seines Lebens der Gnade bedarf, und dessen größte Vollkommenheit seine Unvollkommenheit ist: nämlich Gottes zu bedürfen.“