Am Sonntagmorgen
Gemälde: Gerhard Seghers
Frau Hiob
Das alttestamentliche Ehepaar zwischen Protestieren und Akzeptieren
13.03.2016 07:35

 

Sendung nachlesen:

Frau Hiob: „Lass das!“ fahre ich ihn an. Er soll endlich mit dieser verfluchten Kratzerei aufhören.

Wenn ich sehe, was mein Mann mit seiner Haut anstellt, wie er kratzt und schabt und schürft, verliere ich jedes Mal die Beherrschung.

Als wolle er sich selbst zerfleischen, setzt Hiob eine Scherbe nach der anderen an die Geschwüre, die ihm vom Fuß bis zum Scheitel wuchern. Und kratzt. Und stochert und ritzt und gräbt, bis es blutet.

„Hör auf damit!“ knurre ich ihn an.

Aber ich könnte ebenso gut auf einen tauben Klumpen Fleisch einreden.

 

Bruder: Meine Schwester hatte länger durchgehalten, als ich ihr zugetraut hätte. Ganz mitleidende Ehefrau eines Geplagten, ganz geduldige Pflegerin eines Kranken: Monatelang hatte sie die Rolle auf sich genommen, die von ihr erwartet wurde. Aber jetzt war es vorbei mit ihrer Ergebenheit.

 

 

Frau Hiob: Da stemme ich beide Fäuste in meine Taille und baue mich vor meinem Mann auf. Da schreie ich, so laut ich kann. „Hältst du, Hiob, immer noch fest an deiner Frömmigkeit?“ Ich spucke ihm meine Wut vor die wunden Füße. „Vergiss es!“ brülle ich. „Fluche Gott und stirb!“   

 

Bruder: Und Hiob? Mein Schwager wühlte weiter in den Scherben ihres gemeinsamen Lebens; streute Asche über seinen Scheitel, als gäbe es etwas zu büßen. „Du redest, wie die törichten Frauen reden,“ seufzte er, fast mitleidig. Das war der Satz, den meine Schwester ihm nicht mehr verzieh. „Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?“ Das war die Frage, die sie ihm nicht mehr beantwortete.

Das letzte Mal, dass ich meine Schwester mit ihrem Mann zusammen gesehen hatte, war zum Begräbnis ihrer Kinder gewesen. Damals hatte sie sich gebückt  und verschleiert am Arm ihres Mannes zu den Gräbern geschleppt, kurz vor dem Zusammenbruch. Jetzt, ein halbes Jahr später, wirkte sie wie ausgetauscht.

Entschlossen schwang sie ihr Bündel auf meinen Tisch und begann, ihre Sachen auszupacken. Sie habe sich von Hiob getrennt, erklärte sie. Bei diesem Menschen habe sie es nicht länger ausgehalten.

Und dabei hatte ich immer angenommen, meine Schwester habe mit dem reichen Hiob das große Los gezogen. Jedes Jahr eine Herde Rinder mehr, gesund wie das blühende Leben, zehn Kinder. Was will man mehr? Wer mit kargen Einkünften und einem einzigen Kamel aufgewachsen ist wie ich, kann da nur neidisch werden. Meine Schwester war in bessere Kreise aufgestiegen.

Andererseits: Wenn jemand dieses Glück verdient hatte, dann diese Beiden! Mein Schwager war von Grund auf ein rechtschaffener Mann: Immer freundlich zu Frau, Kindern und Angestellten. Sein Sozialverhalten ging mir manchmal auf die Nerven, so vorbildlich war es:  Hier ein Opfer, dort eine Spende, stets hilfsbereit. Genau dafür war Hiob berühmt. Nichts war dem frommen Mann zu teuer, und meine Schwester hat er nicht nur zum Hochzeitstag verwöhnt.

Und jetzt das. Sie hatte Hiob in den Scherben ihrer Ehe sitzen gelassen. Das idyllische Bild, das ich mir vom Leben dieses Paares ausgemalt hatte, bekam tiefe Risse.

 

Frau Hiob: Ja, wir sind mit Glück überschüttet worden. Aber wozu? Nur, damit der Verlust uns umso härter traf. Wenn du mich fragst: Unter diesen Umständen wäre es besser, nie geboren zu werden!

 

Bruder: Ich fand diese Reaktion völlig daneben. Aber ich hütete mich, meinem Ärger Luft zu machen. Die Weisheiten, die mir auf der Zunge lagen, hätten sie sowieso nicht erreicht. „Das Leben ist eben eine Berg- und Talfahrt“, fiel mir ein. Wäre das ein Trost gewesen? Nein, Sprüche wie diese hätten wie hämische Genugtuung gewirkt, wie Schadenfreude. Wie alle glücklichen Menschen war meine Schwester jeden Tag mit der Überzeugung in den Morgen getanzt, dass ihr Leben sich ohne Stolperfallen fortsetzen ließ. Warum sollte den 3000 Kamelen, die sich Hiob erworben hatte,  nicht ein weiteres Tausend folgen?! Schließlich hatte der Reichtum weder Hiob, noch seinen Kindern den Charakter verdorben. Und stets nahm sich das Familienoberhaupt Zeit für den Gottesdienst. Musste so viel Frömmigkeit nicht belohnt werden?

 

Frau Hiob: Wir hofften, Gott hätte sich an die Spielregeln gehalten. Aber der hohe Herr dachte gar nicht daran. Und an uns schon gar nicht.  Hiob und seine Frömmigkeit? Als würde sie Gott Überdruss bereiten setzt er sie einfach aufs Spiel. Als würde Gott dem Bösen Macht geben, nur um zu sehen, wie weit die Frömmigkeit reicht. Völlig wertlos hat er sie gemacht, wenn du mich fragst. Und uns auch – alles hat er uns genommen. Fluch statt Segen, sage ich dir. Von wegen gütiger Schöpfer!

 

Bruder: Alles, was Hiob besaß, war verloren. Die Schafe und Kamele fielen einem Unwetter zum Opfer, und der Sturm tötete auch noch die treuen Hirten. Meine Schwester war fassungslos. War das gerecht? Den Verlust der Viehherden hätte sie verkraftet, sagte sie. Schließlich waren sie jung und gesund genug, in die Hände zu spucken, um mit Schwung an eine neue Arbeit zu gehen. Aber die toten Hirten? Die anklagenden Schreie ihrer Witwen und Waisen hätten sie ins Grübeln gebracht. Sie fand keinen Sinn, erst recht keinen Trost für die, deren Väter nie mehr zu ihren Familien zurückkehrten.   

 

Frau Hiob: Und dann stolpert der nächste Bote für Hiob ins Haus. Sein Gesicht weiß wie die Wand. Seine aufgerissenen Augen sagen mir noch vor seiner Stimme, dass die Prüfung gerade erst anfängt.

 

Bruder: Ein Tornado hatte das Haus, in dem Hiobs Kinder ein Fest feierten, erfasst. Sieben junge Männer, drei junge Frauen mit Anhang: Alle tot.

 

Frau Hiob: Die Kinder, die ich zur Welt gebracht hatte: alle erschlagen. Geschrien, geheult habe ich, bis mir die Stimme weg blieb. Und mein Mann zuckte gerade mal mit den Achseln. Keine einzige Träne hat er für seine Kinder übrig gehabt.

 

Bruder: Das war ein Vorwurf. Aber ich glaubte nicht, dass mein Schwager ein liebloser Unmensch war. Er hatte nur seine eigene, ganz andere Sprache, um dem Druck in seiner Brust Luft zu verschaffen: Wie die heiligen Schriften es vorschrieben, zerriss Hiob sein Gewand, schor sich den Schädel kahl und kniete in den Staub.

 

 

Frau Hiob: Und wozu? Um zu beten natürlich! Merkt gar nicht, dass sein Gott gerade kein Ohr für seinen Knecht frei hat.

 

Bruder: Nackt sei er hervor gekommen aus dem Schoß seiner Mutter, nackt kehre er dahin zurück, sagte Hiob. Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen, gelobt sei der Name des Herrn.

Schon bei der Bestattung ihrer Kinder hatten Hiob und meine Schwester  keinen gemeinsamen Ausdruck für ihre Trauer mehr gefunden. Als wären sie da schon getrennt. Während er, der Mann, mit steifem Hals über die beiden Reihen eingewickelter Körper hinweg starrte, stolperte sie, seine Frau, von einer Leiche zur anderen, beugte sich weinend über die Körper und tastete nach den verhüllten Schultern und Köpfen. Hiob wartete still darauf, dass das Heulen und Zähneknirschen der Klageweiber aufhörte. Meine Schwester meinte voller Verachtung, ihr Mann habe erleichtert zugesehen, wie der Stein vor die Grabhöhle gerollt wurde.

 

Frau Hiob: Der Herr hat genommen. Erledigt! Aber niemand kann von mir verlangen, ihn dafür auch noch zu loben!

 

Bruder: „Männer trauern anders als Frauen,“ sagte ich, überrascht über mich selbst. Ich ahnte wohl, was Hiob angesichts seiner toten Kinder empfunden hatte und dass es nicht die Gleichgültigkeit war, die meine Schwester ihm vorwarf. „Der Herr hat genommen!“ Für mich klang der Satz nach einer Beschwörung. Trotzig stampfte Hiob fest, was nicht mehr zu ändern war, und behauptete stur einen Sinn mitten in die Sinnlosigkeit hinein, die ihm aus dem Grab seiner Kinder entgegengähnte. „Der Name des Herrn sei gelobt! Der Name des Herrn sei gelobt!“ Das war der Rahmen, den er kannte, und in den er seinen Lebensentwurf zurückstellen wollte. Er wollte die Fassung nicht verlieren. Das war alles.

 

Frau Hiob: Herr Hiob hielt immer noch an seinem Gott fest. Er sang ihm sogar Psalmen. Obwohl der Allmächtige seinen Knecht grundlos und bis aufs Blut gequält hatte.

Und genau damit ging es weiter. Bis auf die Knochen. Als wäre mein Hiob verflucht. Sollte er seinen Schöpfer da nicht auch verfluchen?

 

Bruder: Hiob wurde von Geschwüren übersät, die ihm vom kahlen Schädel bis zu den nackten Füßen krochen. Von diesem Tag an hockte er in der Asche und schabte sich die aufgeblühten Pickel mit Scherben blutig.

Jeder Stich, jeder Kratzer tat meiner Schwester unter der eigenen Haut weh. Einen Moment lang sah es so aus, als gebe der fromme Hiob Gott endlich den Laufpass. Meine Schwester mischte ihrem kranken Mann eine Salbe, die den grausamen Juckreiz lindern sollte. Da riss er ihr den Tiegel aus der Hand, sprang auf die wunden Füße, hob das Gefäß über den Kopf und brüllte auf wie ein angeschossenes Tier. Halb ängstlich, halb triumphierend wartete seine Frau darauf, dass Hiob seinem Aufschrei ein deutliches, ein lautes „Warum, um Himmels Willen, Warum!“ nachschickte. „Warum muss gerade mir das alles passieren?“

 

Frau Hiob: Warum? Wie lange sollte er das noch aushalten? Es war genug!

Eine Sekunde lang dachte ich, er hätte endlich begriffen. Er hätte endlich kapiert, dass sein Gott ihn verlassen hatte und sich einen Dreck um die Klagen scherte.

 

Bruder: Sie wäre sogar einverstanden gewesen, wenn ihr Mann sich auf sein Totenbett niedergelassen hätte, um sich von dem Gift, das ihm aus allen Poren strömte, umbringen zu lassen.

Doch Hiob starb nicht. Er protestierte auch nicht. Er schlug den Salbentiegel nur entzwei, um sich eine neue Scherbe aus den Trümmern zu fischen. Er hinkte zur Feuerstelle, kratzte eine Handvoll Asche heraus, und streute sie sich erneut über den Kopf.

 

Frau Hiob: Als gäbe es etwas zu büßen.

 

Bruder: „Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?“

Fragte Hiob seine Frau. Und wie feindselig er sie dabei angeschaut hatte! Als sei sie das Böse, das er auszuhalten habe. Das, schwor meine Schwester, habe sie nicht mehr ertragen.

Meine Schwester, Hiobs Frau: Der Zorn in Person. Sie hatte keinen Kummer, keine Trauer in mein Haus gebracht, sondern blanke Wut. Sie hatte mich immer wieder umrundet, hatte mit den Armen gestikuliert wie eine Furie. Jetzt stand sie mit dem Rücken zu mir und hielt still ihren Kopf gesenkt. Die Sachen aus ihrem Reisegepäck lagen immer noch lauernd herum. Ich wollte in meinem Haus keinen Platz für die Wäsche und den Schmuck meiner Schwester schaffen, und auch sie sah nicht mehr allzu entschlossen aus. Wollte, konnte sie ihren Mann wirklich für immer verlassen?

 

Frau Hiob: Wenn er wenigstens mit mir reden würde! Aber er spricht nur mit dem Himmel.

 

Bruder: Vor lauter Büßen und Beten hatte mein Schwager für sie kein freundliches Wort mehr übrig gehabt. Was sollte nur aus diesem einsamen Mann in seiner Asche werden?   

Meine Schwester zur Rückkehr zu überreden, traute ich mich nicht. Aber ich überlegte, ob ich nicht selbst zu meinem Schwager wandern sollte. Nein, schlaue Ratschläge konnte er nicht gebrauchen, genauso wenig wie meine Schwester.  Aber vielleicht tat es ihm gut, jemanden neben sich zu spüren wie mich, einen Mann, der kein Hehl macht aus dem Trümmerhaufen seines eigenen Lebens.  Der genau da seinen eigenen Weg sucht mit Gott. Der das Gewand seiner eigenen Weisheit längst zerrissen hat, der schweigen kann, sieben Tage lang oder mehr, und der das Schweigen des Himmels aushält, bis es endlich zum Donner wird.