„Warum man für die Schule mitten in der Nacht aufstehen muss, verstehe ich nicht.“ Seufzt das Grundschulkind in der Frühe. Es hadert mit der morgendlichen Dunkelheit. Wenn die noch über der Stadt hängt, wenn kaum erst Umrisse zu erkennen sind über den Feldern rings um das Dorf, dann fühlt es sich nicht an wie ein neuer Tag. Alles sehnt sich nach Licht. Der christliche Glaube ist nah dran am Wechsel von Dunkelheit und Licht. Ostern und Weihnachten sind ohne die Lichter nicht zu denken. Zu Taufen werden Lichter entzündet und glückliche Eltern und Großeltern schauen hinein. Das alles wundert nicht angesichts dessen, der von sich sagte, er bringe nicht nur das Licht, er sei das Licht für diese Welt. Das hören Menschen seit Generationen von Jesus Christus: „Ich bin das Licht der Welt.“ Persönlich habe ich diesen Satz oft ausgesprochen; nicht nur bei glücklichen Anlässen, sondern auch in tiefe Dunkelheit hinein gesagt. Manchmal schien mir das zu grell, zu gleißend. Würde es den Schmerz derer, die da gerade trauern oder krank sind, nicht einfach nur wegblenden? Wenn ich heute am internationalen Tag der seelischen Gesundheit daran denke, wie sehr Menschen von ihrer eigenen inneren Nacht gefangen sind, was tragen da die vielen beschworenen Lichter und dieses eine Licht Christus aus?
Ich erinnere mich gut: In Kindertagen gab es ein Ausflugsziel, das wir mit den Eltern öfter ansteuerten. Es war eine Höhle, durch die man sich führen lassen konnte und passend zur etwas unheimlichen Magie des Ortes spannende Geschichten erzählt bekam. An einem Punkt eröffnete sich dann ein See mitten in der Tiefe. Effektvoll beleuchtet, war es das Highlight der Führung. Aber nun kam der Moment, den wir nach dem dritten, vierten Mal längst kannten und auf den wir uns schon heimlich freuten: Plötzlich sagte der Begleiter: „An dieser Stelle löschen wir das Licht und wünschen Ihnen einen schönen Heimweg.“ Klar war es ein Scherz, aber gesagt, getan; bloß nicht zu lang, damit niemand panisch wird und die Kleinsten nicht losbrüllen. Ein dunkler Moment, in dem ich nicht wusste, wann das Licht wieder angeht, hat mich über meine Seele mehr gelehrt als der helle Tag. Jeder finstere Höhlengang, hat mich mit meinen Ängsten konfrontiert, hat mich gelehrt, den Blick scharf zu stellen, behutsamer meinen Schritt zu setzen – und nach Händen zu suchen, die mich vielleicht halten können. Es gibt Menschen, die von innen zu leuchten scheinen, in deren Gegenwart sich dunkle Gedanken nicht festsetzen können. Wer so von innen leuchtet, kennt meistens gut das dunkle Innen. Durch die eine oder andere Höhle gegangen zu sein, strahlt etwas aus. Lebt als Kinder des Lichts, heißt es in der Bibel. Lebt als Menschen, die wissen, was die Dunkelheit lehrt. Die von innen leuchten und es hell werden lassen können.
Kinder des Lichts