Spurensuche
Wo, bitte, geht es engelwärts?
25.09.2021 10:00

Mi-ka-el

Wer ist wie Gott? Diese Frage soll dem Luzifer in der Ohren gerauscht haben, als er vom Himmel stürzte. Luzifer – der Engel, der Gott gleich sein wollte und darum kein Engel bleiben konnte. ‚Wer ist wie Gott?‘ - das heißt hebräisch mi-ka-el. Es war der Erzengel Michael, der den Luzifer besiegte und der darum als der Besieger des Bösen überhaupt verehrt wird. Der 29. September ist sein Feiertag: Michaelis, Tag des Erzengels Michael und aller Engel. Heute ist das wohl nur noch in kirchlichen Kalendern vermerkt. Im Mittelalter aber war Michaelis der letzte große Feiertag, bevor die Tage dunkel und kalt wurden. Da wurde noch einmal Kraft getankt und Schutz erbeten.

 

Sehnsucht nach Schutz

Wenn nun auch Michael, der Erzengel, ziemlich in Vergessenheit geraten ist, so doch nicht die Sehnsucht nach den guten Mächten, die uns vor allem Bösen behüten mögen. Dafür stehen die vielen kleinen Engelsfiguren, die es in den Geschenkabteilungen zu kaufen gibt. Behütet zu bleiben, das wünschen sich alle und denken dabei wohl zuallererst an all die Übel, die uns von außen zustoßen können – Krankheiten, Unfälle, Wetterkatastrophen… Mir jedenfalls geht es so, dass ich mir den Schutzengel immer ein bisschen wir einen Schutzmantel vorstelle oder eine Art unsichtbaren Rundum-Airbag.

 

Die Engel in der Bibel

Aber wenn ich darüber nachdenke, welche Rolle die Engel in der Bibel spielen, wird mir klar: Da sind sie als Boten Gottes doch vor allem innere Wegweiser. Sie machen Mut, wenn die Verzweiflung droht. Dem Jakob zum Beispiel, der nicht weiß, was aus ihm werden soll, nachdem er seinen Bruder betrogen hat und von zu Hause fliehen muss. Verloren im Ungewissen, sieht er im Traum die Engel auf der Himmelsleiter, die ihm Zukunft versprechen.

Die biblischen Engel warnen aber auch, wenn eine falsche Entscheidung droht. So wird Josef davor bewahrt, seine Maria zu verlassen. Wenn‘s sein muss, kann so ein Engel sogar zum Hindernis werden, das den Weg versperrt so lange, bis einer endlich zur Einsicht kommt. Davon erzählt die Geschichte von Bileam und seiner Eselin. Im Auftrag eines Königs ist Bileam unterwegs, um seines Amtes zu walten und einen Fluch über den Israeliten auszusprechen. Aber sein Reittier bockt und lässt sich auch mit Schlägen nicht bewegen weiterzugehen. Es dauert, bis auch dem Bileam die Augen aufgehen: Da steht ein Engel mit gezücktem Schwert und lässt ihn nicht durch: ‚Dein Weg ist verkehrt‘, erklärt der Engel. Und Bileam versteht: Er soll nicht verfluchen, sondern segnen. Schade, dass dieser Engel nicht überall zur Stelle ist, wo Hassreden ausgebrütet werden! Man stelle sich vor, er würde dann immer die Tastatur blockieren...

 

Was die Engel wirklich tun

Wenn ich den biblischen Geschichten nachdenke, merke ich: Wo da die Engel ins Spiel kommen, geht es immer um innere Wendungen: Raus aus den eigenen fixen Ideen – bereit werden für Gottes Zukunft. Die Aufgabe der Engel ist wohl vor allem, uns vor den Bedrohungen zu schützen, die wir in uns selber ausbrüten: vor der übermächtigen Angst und mancher Verbohrtheit. Sie sind nicht dazu da, mich zu panzern, sondern um meinen Panzer aufzubrechen. Sie machen den Blick weit – über die eigenen Grenzen hinaus. 

Wie sie Wegweiser sein können nicht nur für Jakob und Josef in der Bibel, sondern auch für mich alle Tage, dafür hat Rose Ausländer schöne Worte gefunden in diesem Gedicht:    

Der Engel in dir

freut sich über dein Licht

weint über deine Finsternis

aus seinen Flügeln rauschen Liebesworte

Gedichte Liebkosungen

Er bewacht

deinen Weg

Lenk deinen Schritt

engelwärts.[1]

 

Engelwärts – was mag das für eine Richtung sein? Ich stelle mir vor: Sie führt über das hinaus, was mir gerade vor Augen ist, führt hinaus über meine Angst, meinen Zorn, meinen Ärger. Immer wieder ins Weite – trotz allem Bedrohlichen.

 

[1]     Rose Ausländer, Treffpunkt der Winde, Fischer, Ffm. 1991