Morgenandacht
Gemeinfrei via Unsplash/ manu schwendener
Halbvoll!
Morgenandacht von Marie Marondel
22.05.2023 06:35

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Die Sendung zum Nachlesen: 

Mein Glas ist eher halb voll als halb leer.

Das habe ich mir mal so vorgenommen. Denn ich will nicht verbittern im Leben, will den Blick für das Gute und Schöne nicht verlieren. Das hat bisher gut funktioniert. Ich mag es nicht, immer nur auf das Schlechte im Leben zu blicken. Obwohl ich durchaus realistisch bin und es gelernt habe, Gefahren und Risiken gut abzuwägen.

Es fällt mir allerdings immer schwerer, mein Glas halbvoll zu sehen. Die Corona-Pandemie stellte meinen Alltag auf den Kopf: Das Studium fand nur noch digital statt - Vorlesungen, Seminare, Verabredungen mit den Kommiliton*innen – alles spielte sich nur noch in kleinen Bildchen auf dem 13 Zoll Bildschirm meines Laptops ab. Vertraute Orte und Räume der Begegnung, waren plötzlich nicht mehr zugänglich.

Und seitdem, jedenfalls gefühlt, folgt in den Nachrichten eine schlechte Nachricht der Nächsten: Krieg in der Ukraine, Krieg im Sudan, Umweltkatastrophen, Inflation. Das alles ist plötzlich sehr präsent. Der Krieg fühlt sich erschreckend nah an. Die steigenden Lebenshaltungskosten lassen mich darüber nachdenken wofür ich mein Geld ausgebe. Den Klimawandel kann ich alleine nicht aufhalten. Ich bin jung. Das sind keine hoffnungsvollen Aussichten für die Zukunft.  All die Krisen sind wie ein tieftrüber Sog. Es fällt mir dann schwer, einen Lichtblick zu finden. Das Gefühl der Ohnmacht legt sich wie ein schwerer Stein auf meine Brust und engt mich ein. Manches in der Welt kann man einfach nicht schöngeredet werden: da gibt es keine Lehre, da gibt es keinen tiefgründigen Sinn hinter allem. Manches ist einfach unfair, grausam, sinnlos. Und das muss und darf auch so benannt werden.

Und das muss raus, raus aus meinem Herzen. Ich will frei sein, ich will nicht verbittern. Aber es schützt mich nicht vor dem Verbittern, meine Sorgen und Ängste, einfach runterzuschlucken und die Fassungslosigkeit in mir zu ignorieren. Ganz im Gegenteil!

Ich glaube es wird leichter, wenn ich meiner Verzweiflung Raum gebe. Und ich darf das. Ich muss als Christin nicht immer alles in Dankbarkeit und Demut hinnehmen. In der Bibel gibt es eine ganze literarische Gattung, welche genau das zum Ausdruck bringt: die Klagepsalmen. Und das Buch Hiob macht klar: auch das vorbildlichste Leben schützt nicht vor Krisen und Rückschlägen. Und noch viel mehr: Es ist ok, sich darüber zu beschweren! Ich mache das beim Sport, am Telefon mit einer guten Freundin, in einem Gebet - das nimmt mir das Gewicht von meinen Schultern und lässt mich wieder Luft bekommen. Mein Glaube an Gott ist mir dabei ein wichtiger Anker. Vor Gott kann ich all meine Wut, meine Sorgen und meine Zweifel bringen.

Ich muss da nichts schönreden, denn Gott - glaube ich - weiß wie es in mir aussieht. Gott leidet mit uns Menschen mit. Gott spürt die Last auf meiner Brust wie ich sie fühle, spürt die Enge, fühlt die Zweifel, und stellt meine Füße, wie der Psalm 31 sagt, auf weiten Raum" (Ps 31, 9): neuen Raum. Das hilft mir rauszukommen, die schwere Last von mir zu werfen. Was geschehen ist, macht das nicht rückgängig. Aber wenn die Last auf mir nachlässt, wenn mein Herz nicht mehr ganz so schwer ist, dann weitet sich mein Blick und ich habe wieder Raum in mir, um das Gute aufzunehmen, das ja auch um mich herum passiert. Dann beginnt mein Glas sich wieder zu füllen, Hoffnung fließt hinein. Genauso ehrlich und aufrichtig, wie ich aus tiefstem Herzen weine, kann ich mich aus tiefstem Herzen, ehrlich und aufrichtig freuen.

Das nehme ich mir vor.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

Literatur dieser Sendung:

  1. Bibelzitate nach: Elberfelder Bibel 2006, SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH, Witten/Holzgerlingen