Wort zum Tage
Gemeinfrei via Unsplash/ Dragos Gontariu
Im Mittelpunkt der Welt
von Vikarin Hannah Clemens
20.09.2023 06:20
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Es ist ruhig. Zu ruhig. Schnell stehe ich auf. Im Nebenzimmer sitzen zwei Wesen, braun, grün und blau gefärbt, und schauen mich mit großen Augen an. Das größere Wesen hat noch den Pinsel in der Hand. Das weiße Papier auf dem Tisch hat nur wenig Farbe abbekommen, die beiden Wesen dafür umso mehr. Dann blitzen mir strahlend weiße Zähnchen entgegen. Diebische Freude über ihre gelungene Rebellion.

 Das Zusammenleben mit meinen kleinen Töchtern durchbricht immer wieder meine Erwartungen. Ständig hinterfragen sie, wie Dinge „eigentlich“ zu tun sind. Sie probieren aus, entdecken neu und produzieren, was für die meisten Erwachsenen als Chaos gelten dürfte. Ich bin immer wieder überrascht, wozu Haarbürste, Klebestreifen oder Sprühflasche noch zu verwenden sind.

Jesus spricht: „Lasst die Kinder zu mir kommen; hindert sie nicht daran! Denn Menschen wie ihnen gehört das Reich Gottes. Amen, das sage ich euch: Wer das Reich Gottes nicht so annimmt, wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.“

Kinder sind anders. Und an ihnen sollen wir uns ein Vorbild nehmen. Sagt Jesus. Dabei treffe ich oft Erwachsene, die meinen, sie könnten mit Kindern nichts anfangen. Wie sind Kinder?

Kinder spucken Essen aus, das ihnen nicht schmeckt. Wenn etwas schmeckt, essen sie ohne Rücksicht auf Verluste. Kinder sagen dir, wenn die neue Frisur komisch aussieht und machen eine Badewanne zum Piratenschiff, einen Wäscheständer zur Räuberhöhle. Kinder können dir jeden Tag sagen, was sie schön fanden, und laut schreien, wenn sie traurig sind. Mal halten sie deine Hand fest wie in einem Schraubstock, mal lassen sie dich stehen, ohne zurückzublicken. Sie sind Mittelpunkt ihrer Welt. Ein Kind wird nicht mit Minderwertigkeitskomplex geboren, wird Prinzessin oder Astronaut und wünscht sich ein Pony zu Weihnachten, völlig egal ob das realistisch ist.

Erwachsene dagegen sind realistisch, wissen, was sie können und vor allem nicht können, denken darüber nach, was sie alles tun müssen - nicht, was sie tun möchten. Und wollen allzu oft ganz anders sein, als sie sind.

Für Gott aber sind wir Kinder. Jede und jeder einzelne ist Mittelpunkt. Ist in die Welt gestellt, um sie zu gestalten, Träume zu haben, alles Gute zu erwarten und anzunehmen. Wenn ich es schaffe, ein bisschen so zu leben, dann bricht das Reich Gottes schon jetzt an. Reich Gottes in der Welt bedeutet: Eine Welt, in der mein Bürostuhl auch ein Karussell sein könnte, eine Welt, die mir wohlgesonnen ist und nur darauf wartet, dass ich mich selbst in sie hineintrage, so wie ich bin.

Es gilt das gesprochene Wort.