Wort zum Tage
Gemeinfrei via unsplash/ Vladislav Babienko
Gut und Böse und die Kombi von beidem
von Vikarin Hannah Clemens
16.04.2024 06:20
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Du sollst nicht töten, ist eines der Zehn Gebote in der Bibel. Und im Neuen Testament steht: "Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit dem Guten." (Römer 12,21)

Das sind für mich zwei wichtige Sätze. Aber die Nachrichten stellen mich täglich vor eine Zerreißprobe. Muss man das Töten in Kauf nehmen, um Angreifer zu stoppen und dadurch das Leben vieler Menschen zu retten? Was ist mit den Hamas-Terroristen, die auf tanzende junge Menschen beim Supernova Festival in Israel am 7. Oktober gezielt haben? Wenn jemand sie erschossen hätte, wären hunderte Menschen heute noch am Leben.

Was ist mit den Waffenlieferungen an die Ukraine, damit sie sich gegen Russland verteidigen kann? Ich kann sowohl die Kritiker als auch die Befürworterinnen von Waffenlieferungen verstehen. Mir fällt es schwer, hier eindeutig zu sagen, was das Richtige ist.

Mir hilft eine Überzeugung, die der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer formuliert hat. Er meinte: Sich für das Richtige entscheiden, ohne Schuld auf sich zu laden, das gibt es nicht. Bonhoeffer spricht von unentrinnbarer Schuld. Ob ich das eine tue und das andere lasse, beides hat Konsequenzen.

Bonhoeffer traf seinerzeit eine Entscheidung. Er beteiligte sich aktiv an der Planung eines Mordanschlags auf Adolf Hitler. Er war der festen Überzeugung, in Verantwortung für seine Mitmenschen nicht anders handeln zu können. Trotzdem   empfand er es als Schuld. Denn es verstößt gegen Gottes Gebot: Du sollst nicht töten. 

Bonhoeffer schreibt: "Das letzte Nichtwissen des eigenen Guten und Bösen und damit das Angewiesensein auf Gnade gehört wesentlich zum verantwortlichen […] Handeln." (1) Ich kann letztlich nicht wissen, ob meine Entscheidung und mein Handeln sich gut oder böse auswirken. Sie sind ein Geflecht aus beidem.

Bonhoeffer fühlte sich nicht vor seinem eigenen Gewissen schuldig und auch nicht vor seinen Mitmenschen. Gott war für ihn das Gegenüber, vor dem er schuldig geworden war. Auf Gottes Gnade verstand er sich angewiesen.

Wir leben in einer anderen Zeit als Bonhoeffer. Für die Fragen, die uns herausfordern, hilft mir Bonhoeffers Einsicht: Wir kommen aus diesem Leben nicht schuldfrei raus. Was absolut gut und richtig ist, kann kein Mensch eindeutig sagen. Dieses Wissen um unser Schuldig-Werden halte ich für wichtig in den politischen Debatten und bei den Diskussionen in meinem eigenen Umfeld. Das lässt mich vorsichtig sein, Argumente und Gründe anderer einfach abzutun. Trotzdem muss ich entscheiden, für was ich stehe. Im Hier und Jetzt bleibt mir nur das Wagnis des verantwortlichen Handelns im Vertrauen darauf, dass Gott mir gnädig ist.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Literaturangaben:

  1. BONHOEFFER, Dietrich; BETHGE, Eberhard (Eds.) (1988): Ethik. 12. Aufl. München: Kaiser, S.249.