Wort zum Tage
Gemeinfrei via Unsplash/ Chandler Cruttenden
Schlimm, Perspektive: Schlimmer
von Vikarin Hannah Clemens
21.09.2023 06:20
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„Fang niemals einen Streit mit jemandem an, wenn es keinen Grund dafür gibt!“, heißt es in der Bibel. Oder: „Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Kinder Gottes heißen.“ (Matthäus 5,9) Genau, Frieden stiften, darauf kommt es an. Aber der Mann vor mir spricht weiter und langsam gehen mir die Bibelstellen aus… Ich stehe in der kleinen Küche einer Berliner Wohnung. Zwischen mir und dem Mann, der eigentlich die defekte Therme reparieren wollte ist nur ein guter Meter. Unsere Weltsichten aber könnten nicht weiter auseinanderliegen. Statt auf meine Frage zu antworten, wann denn mit einer Reparatur der ebenfalls defekten Duschkabine zu rechnen sei, holt dieser tief Luft und beginnt einen Vortrag: über die „Grüne Diktatur“, über den Verlust von Wohlstand und Freiheit; warnt mich vor Gehirnwäsche und den geheimen Strippenziehern. 15 Minuten später ist er immer noch nicht fertig, schaut mir eindringlich in die Augen und erklärt mir die Welt. Und warum die Hausverwaltung kein Geld für Duschkabinen hat. „So ein Unsinn!“ möchte ich ihm entgegen brüllen. Es juckt mir in den Fingern, ihm ins Wort zu fallen, ihn zur Vernunft zu bringen. Das kann doch keiner ernsthaft glauben! Ich denke an Jesus, wie er mit seinen Gegnern stritt. „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ Hat er tatsächlich gesagt. (Matthäus 10,34) Meine Hand wandert zum Schwertgriff, gleich schneide ich meinem Gegenüber das Wort ab.

Doch wieder eine Stimme in mir: „Die Liebe ist langmütig und freundlich. Die Liebe ereifert sich nicht.“ (1. Korinther 13,4) Danke dafür, Paulus. Tief durchatmen. Ich lasse den Handwerker weiterreden. Schließlich stehen wir an der Ausgangstür. Als ich diese schon schließen will, spricht er noch ein paar abschließende Worte durch den Spalt: „Ich will ihnen ja nur klarmachen, dass alles schlimmer wird, noch viel schlimmer!“ Dann ist er weg. In mir bleibt ein mulmiges Gefühl. Ich spüre, dass dieser Mann tatsächlich Angst hat. Er will mir die Augen öffnen für eine Realität, die für ihn genau das ist: schlimm, Perspektive: schlimmer.

Was kann ich ihm antworten, wenn Streiten nichts bewirkt? Was können wir als Christinnen und Christen antworten, in einer Gesellschaft, die fast wahnsinnig wird vor Angst vor dem Klimawandel, der Verschwörung, dem Verlust von Demokratie und Wohlstand? Widerworte sind vielleicht vergebens, aber ich kann Haltung zeigen. Kann Ruhe und Freundlichkeit ausstrahlen, kann zuhören, kann trösten und helfen; getragen von dem Vertrauen, dass Gott diese Welt liebt. Denn Vertrauen besiegt die Angst. Schade nur, dass es keine Duschkabinen repariert.

Es gilt das gesprochene Wort.