Apokalyptisches Klima

Am Sonntagmorgen

Gemeinfrei via unsplash.com/Patrick Hendry

Apokalyptisches Klima
Das Ende als Neuanfang
16.02.2020 - 08:35
30.01.2020
Björn Raddatz
Über die Sendung:

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Zu biblischen Zeiten glaubten Menschen: Die Welt geht bald unter! Das Ende der Tage kommt. Das haben sie niedergeschrieben - auch in der Bibel. Für heutige Menschen mit einem naturwissenschaftlichen Weltbild kommen die biblischen Bilder weit entfernt vor. Eine Weltuntergangsstimmung gibt es aber auch heute: Ist der Klimawandel die Apokalypse der Neuzeit?
„Apokalyptisches Klima“: Das ergibt für mich verschiedene Blickrichtungen. Einmal lohnt ein Blick auf das, was in der heutigen Klima-Wissenschaftswelt gesicherter Fakt ist. Dann lohnt sich auch ein Blick in die Bibel: Wie wurde damals der Weltuntergang gepredigt, und warum dreht sich die Erde dann heute noch? Und schließlich: Welche Rolle kann ich als Christ in der Debatte spielen - die ja häufig sehr giftig geführt wird.

 

 


Liest man, was sich in den Kommentarspalten der SocialMedia-Kanäle hundert- und tausendfach ansammelt, wenn das Thema Klimawandel diskutiert wird - dann muss man glauben, es gehe um ein wissenschaftlich hoch umstrittenes Thema. Eine Armada von Kommentatoren (nur selten Kommentatorinnen) versucht, die Fakten zu widerlegen. Mit den immer gleichen Verschwörungstheorien: die Daten seien manipuliert, die Regierungen der Welt gäben die Ergebnisse vor, Wissenschaftler, denen ihr Job lieb sei, kuschten und sagten, was von ihnen verlangt würde. Forschung sei nun mal keine Demokratie, wo eine Mehrheit festlegen könne, was geglaubt werden soll. Fast nichts davon ist wahr. Nur dass Fakten keine Mehrheiten brauchen - das stimmt. Niemand würde anzweifeln, dass morgens im Osten die Sonne über dem Horizont sichtbar wird und am Abend im Westen wieder verschwindet.


Genauso verhält es sich mit der Forschung und den Fakten zum Klimawandel. Das Thema ist seit Jahrzehnten erforscht, die Ergebnisse sind inzwischen unumstritten. Alle möglichen Faktoren wurden beleuchtet, durchdacht, gemessen und berechnet. Am Ende mit eindeutigem Ergebnis, auf Grund dessen Prognosen und Modelle für die Zukunft berechnet werden - und auch vor Jahrzehnten schon wurden. Diese alten Prognosen treten mit erschreckender Genauigkeit ein.

 

Für die evangelischen Kirchen Hessens habe ich 2007 eine Sendung moderiert – es ging um den Klimawandel. Die Beiträge und Interviews habe ich auf meiner Festplatte wiedergefunden. 13 Jahre danach. Damals: Kein Kommentar zur Sendung von niemand. Seinerzeit war der Klimawandel noch ein Thema, bei dem die Hörer abgewunken haben und es lieber ignorierten. In der Sendung haben wir trotzdem darüber geredet, schon damals hatte es eine Relevanz, weil Ursachen wie Folgen des Klimawandels alle betreffen. Ich muss feststellen: Alle Prognosen von 2007 sind heute eingetroffen. Die damals Interviewten haben heute Recht behalten. Es gibt den Klimawandel, messbar: Unter den weltweit 10 heißesten Jahren seit 1880 sind acht aus den 10er-Jahren, zwei aus den Nuller-Jahren - auf Platz 11 das Jahr 1998. Auch die Ursachen der Klimaverschiebung sind längst bestens bekannt. Es ist der Kohlendioxid-Eintrag des Menschen in die Atmosphäre. Auch, wenn es im globalen Maßstab und im Anteil der Luft nur um kleinste Mengen geht - das wenige CO2 reicht, um die Temperatur weltweit steigen zu lassen. Für den Treibhauseffekt, die Erderwärmung, genügen bereits geringfügig erhöhte Anteile von Kohlendioxid in der Atmosphäre. Ähnlich wie Alkohol im Blut: 0,5 Promille reichen, um einen spürbaren Unterschied zu machen.

 

 

Die Kirchen sind dem Thema Klimawandel gegenüber aufgeschlossen. Unter dem alten Stichwort „Bewahrung der Schöpfung“ ist auch das Klima-Thema angekommen. Leider nur wenig öffentlich hörbar. Aber in der Sache überraschend klar - dieses Lob kommt vom YouTuber Rezo, der berühmt wurde durch das Video „Zerstörung der CDU“ und der jetzt für die ZEIT eine Kolumne schreibt. In seiner Kolumne hat er sich im Dezember die Kirchen vorgenommen - und muss Vorurteile revidieren. Rezo schreibt:


„Kritik sollte stets belegt werden und nicht nur auf Bauchgefühlen beruhen, insofern wollte ich mir die offiziellen Äußerungen der beiden größten deutschen christlichen Institutionen zum Klimawandel ansehen – und war überrascht. Um nicht sogar zu sagen: Mit jeder Stunde, die ich auf kirchlichen Websites verbracht habe, schrumpfte mein Vorwurf, man wäre da irgendwie nicht deutlich genug.

So ist Klimawandel auf der offiziellen Website der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) eines der sichtbaren Hauptthemen. Man spricht sich gut informiert für umfassendere und sozialere CO2-Preise aus, die in ihrer Höhe ein Vielfaches von dem betragen sollen, was die Regierung nach wie vor plant. Erst kürzlich forderte der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm von der Bundesregierung explizit eine Nachbesserung des Klimapaketes.“


Der Klimawandel - und unsere Lebensweise insgesamt - bedroht das Leben auf der Erde, wie wir es kennen. Arten sterben, wir Menschen bringen uns selbst in Gefahr. So etwas wie „Weltuntergang“ liegt tatsächlich in der Luft. Apokalyptisches Klima!

 

 

Das Wort „Apokalypse“ ist schillernd. Erzählungen vom nahenden Ende der Welt gibt es nicht nur im Christentum oder im Judentum. In vielen Religionen und Ideologien gibt es Mutmaßungen, wie das Ende der Zeit aussehen wird. Im kulturellen Kontext Europas ist ein Bild von Albrecht Dürer berühmt geworden: Die Apokalyptischen Reiter. Eine Art früher Comic - oder zumindest ein Wimmelbild. Ein Ende mit Schrecken wird da ausgemalt, nach Motiven aus der Johannes-Apokalypse, dem letzten Buch der Bibel. Im Glaubensbekenntnis sprechen wir Christen den Satz „er, Jesus Christus, sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters; von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.“ Tag der Abrechnung. Bei vielen weckt das eher Assoziationen von Zombie-Apokalypse. Dabei ist das Ziel in der Bibel ein völlig anderes!

(Offb. 21) „Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen. Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.“

 

Das kaputte Alte wird beseitigt, ein ganzes Neues wird erschaffen. Die gute Nachricht: Es gibt nach den biblischen Erzählungen eine Kontinuität. Es ist nicht eine derart neue Welt, dass von der alten nichts mehr übrig bliebe. Die Menschen sind noch da! Die, die vorher geweint haben, die Leidenden und die mit Schmerzen sind noch da. Nur dann ohne Leid, ohne Schmerz und Tränen. Um es mit einem heutigen Computer-Bild zu sagen: Die Apokalypse fährt die Welt nicht dauerhaft herunter - sondern sie startet sie mit einem Update neu. Die Hardware bleibt. Und die Software, die abgestürzt ist, läuft nach dem verbessernden Update und Neustart wieder tadellos.

 

 

Das Alte Testament erzählt vom Propheten Jona. Der bekommt von Gott den Auftrag, die Stadt Ninive vor dem Untergang zu warnen. „Apokalypse now!“-Rufer - Auf diesen Job hat Jona keine Lust, er flieht, wird vom Wal gefressen, an einem Strand wieder ausgespuckt - schließlich überwindet er sich doch und geht nach Ninive.

 

(Jon 3 gekürzt) „Und als Jona anfing, in die Stadt hineinzugehen, predigte er und sprach: Es sind noch vierzig Tage, so wird Ninive untergehen. Da glaubten die Leute von Ninive an Gott und riefen ein Fasten aus und zogen alle den Sack zur Buße an. Und als das vor den König von Ninive kam, stand er auf von seinem Thron und legte seinen Purpur ab und hüllte sich in den Sack und setzte sich in die Asche. Als aber Gott ihr Tun sah, wie sie umkehrten von ihrem bösen Wege, reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und tat's nicht.“


Das nahe Ende vor Augen ins Handeln kommen. So erzählt es die Bibel über die Stadt Ninive. Und das Ende bleibt aus. Ursache und Wirkung - direkt aufeinander bezogen. Um es klar zu stellen: Ein Tun-Ergehen-Zusammenhang ist damit nicht gemeint. Niemand kann die Welt allein mit einem Gebet retten. Niemand kann durch einen Tanz Regen herbeizwingen. Nicht jedes menschliche Tun zeitigt ein erwünschtes Ergehen. Aber Wirkungen haben Ursachen - und die Ursachen können durchaus menschlicher Natur sein. Das Ende abwenden - das bringt die Menschen in der biblischen Jona-Erzählung zusammen. Alle - inklusive König - tun etwas. Sie kehren gemeinsam um von einem Weg, der die Welt in das Verderben führt.

 

Das gesellschaftliche Klima ist angespannt, was den Klimawandel angeht. Was sollen wir tun? Das evangelische Magazin chrismon hat beim Meinungsforschungsinstitut „emnid“ eine repräsentative Umfrage beauftragt. Nur 6 Prozent der Deutschen glauben, dass der Klimawandel ohnehin nicht aufzuhalten sei - und darum niemand etwas tun müsse. Die anderen sind sich uneinig, wer eigentlich anfangen soll. 22 Prozent zeigen auf die USA und China. 18 Prozent sagen: Die Politik muss es richten. Klar - ohne politische Weichenstellungen geht es nicht. Es braucht politischen Willen, um etwas zu ändern. Und ganz ohne USA und China wird es nicht gehen. Aber wenn alle warten, bis sich jemand anderes bewegt, dann bewegt sich gar nichts. Das sehen auch viele Deutsche so: Die größte Gruppe der Befragten von 33 Prozent findet, dass jede und jeder tun müsse, was er oder sie kann. Eine Zahl, die von einer grundsätzlichen Bereitschaft zeugt. Trotz – vielleicht ein bisschen auch wegen der „apokalyptischen Reiter“, die viele vor Augen haben. Doch die unangenehm drohenden Verbote, der nötige Verzicht - sie verunsichern viele Leute nicht. Auch nicht die Vermutung, dass die Eliten dem „kleinen Mann“ das Leben vermiesen wollen. Eine öde Zukunft in Sack und Asche wäre ein Schreckensbild. Aber: Es geht gar nicht um Sack und Asche und darum, dass wir plötzlich in Höhlen leben sollen oder auf Bäumen. Die wenigsten wünschen sich klimaneutrale Ochsenkarren in der Landwirtschaft statt moderner Traktoren. Das Fliegen muss nicht verboten werden. Auch das soziale Aufwiegeln ist unnötig: Wer sich in unserem Land kaum einen Urlaub leisten kann, so gut wie nie ein Flugzeug besteigt, einen älteren Mittelklassewagen fährt und sich auch kein neues Auto leisten kann, sollte sich weniger angesprochen fühlen. Eher so Menschen wie ich, Mittelschichtler, die auch privat mal von Frankfurt nach Berlin geflogen sind, die sich ein Auto mit etwas mehr PS und Verbrauch als nötig und möglich leisten. Ich muss mich und mein Handeln letzten Endes selbst in Frage stellen. Denn diese Zahl stimmt leider: Wir Deutschen stellen nur 1 Prozent der Weltbevölkerung - und verursachen satte 2 Prozent der CO2-Emissionen. Diesen Wert zu senken ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Jeder, wo und wie er kann. Das betrifft Reisen, Autokäufe, Hausdämmungen, Photovoltaikanlagen, Konsum, Ernährung.

Der YouTuber Rezo wünscht sich von den Kirchen, dass sie hörbarer werden. Und dabei ihre integrierende Kraft einsetzen im Umgang mit Klimawandel-Skeptikern:

 

„Kirche möchte ja auch alle willkommen heißen und die Türen vor niemandem verschließen. Auch dieser Move wurde von Jesus deutlich vorgelebt, ist essenzieller Bestandteil seiner Lehre und somit im Christentum tief verankert. Vielleicht liegt genau hier die mögliche Stärke – eine richtige Ansprache zu finden, sich durch Handeln Glaubwürdigkeit zu verdienen und an der Kirchentür, wo der Grat zwischen klaren Ansagen und allgemeiner Offenheit besonders schmal ist, mit Menschen zu sprechen, die für andere lange verloren sind und vom Fridays-for-Future-Demoflyer nicht abgeholt werden. Nicht auf der Suche nach faulen „Wir haben beide ein bisschen Recht“-Kompromissen, aber in diesem sanften „Ich hab dich gern, aber ist halt Quatsch, was du sagst“-Tonfall.“

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Literaturangaben:

https://www.zeit.de/kultur/2019-12/klimawandel-kirche-klimaschutz-positionierung-bischofskonferenz-rezo

30.01.2020
Björn Raddatz