Fenster des Glaubens

Am Sonntagmorgen

By Agnete via Wikimedia Commons

Fenster des Glaubens
Chagall-Fenster in Mainz und Sarrebourg
22.03.2015 - 08:35
26.03.2015
Pfarrer Peter Oldenbruch

Meine Lieblingsstraße in Mainz ist seit 40 Jahren die Gaustraße, eine steile und enge Straße, die man von der Innenstadt aus nehmen muss, um die katholische Pfarrkirche St. Stephan zu besuchen.

 

Heute besichtigen jedes Jahr etwa 200.000 Touristen diese Kirche.

 

Weil sie der einzige Ort in Deutschland ist, wo man sich Glasfenster von Marc Chagall anschauen kann. Zwischen 1978 bis 1985 schuf Chagall neun Fenster für den Ostchor und das Querschiff der Kirche. Wann immer meine Familie Gäste hat, zeigen wir ihnen die Chagall-Fenster in St. Stephan. Und fast alle sind berührt, auch Leute, die Religion oder Christentum eher distanziert gegenüber stehen.

 

Berührt, behaupte ich, nun weniger von einzelnen Darstellungen, von Elia oder David, der Kreuzigung oder Adam und Eva. Was in St. Stephan berührt, ist die Gesamt-Atmosphäre, die Chagalls Fenster mit ihrem blauen Grundton in der alten Kirche auslösen. Aber wie kam es dazu, dass in Deutschland allein in Mainz Marc Chagall für eine christliche Kirche gearbeitet hat?

 

Schließlich hat Chagall nach 1945 deutschen Boden ganz bewusst nie mehr betreten. Wie es dazu kam, das weiß der heute 92jährige Monsignore Klaus Mayer, von 1965 bis ´91 war er Pfarrer von St. Stephan.

 

Mayer: Es ist eine Geschichte der Fügungen. Ich hatte von Chagall den Namen gewusst, aber an sich erbärmlich wenig. Und nun bekam ich 1 ½ Jahre etwa zuvor zwei Bücher in die Hand. In dem ersten waren seine Fenster in der Hadassa-Synagoge in Jerusalem abgebildet. Und in dem andern seine Kirchenfenster im Frauenmünster in Zürich. Ich hatte bis dahin kein Original gesehen. Aber als ich diese Reproduktionen gesehen hab, war mir klar: wenn einer das fertig bringt, dass er nicht nur unsere Erwartungen erfüllt, sondern sie weit übersteigt, dann ist er es. Und dann hab ich ihm einen Brief geschrieben. Und ich hab mir gedacht, es kann nur dreierlei passieren: er gibt überhaupt keine Antwort, er sagt sofort nein – als jüdischer Künstler für Deutschland nach all dem, was geschehen war. Oder er gibt ein Zeichen seines Interesses.

 

 

Ich habe in den vielen Jahren, in denen ich St. Stephan besuche und Gäste dorthin führe, immer gedacht und auch erzählt: dass Chagall gerade für diese Kirche Fenster gestaltet hat, das hänge mit der Person des damaligen Pfarrers von St.Stephan zusammen.

 

Klaus Mayer ist der Sohn des jüdischen Kaufmanns Karl Jakob Mayer. Und galt so ab 1935 – nach den Nürnberger Rassegesetzen – als gemischtrassig ersten Grades. Seine Erfahrungen in den Jahren 1933 bis 45 hat Mayer in einem kleinen Büchlein beschrieben, Titel: „Wie ich überlebte“.

Deportation, Konzentrationslager und Todesmärsche blieben ihm erspart. Aber – so schreibt er in dem Büchlein:

 

 „Ich bin nicht durch die Hölle gegangen. Jahrelang ging ich Tag und Nacht am Rande der Hölle entlang. Ständig war ich in Gefahr, von ihr verschlungen, „abgeholt“ zu werden. Als einziger einer väterlicherseits großen, jüdischen Familie habe ich zusammen mit meiner Mutter und nur dank Gottes und ihrer Hilfe die Schreckensjahre 1933-1945 in Deutschland überlebt.“

 

Seine Herkunft und seine Erfahrungen als junger Mann zwischen 1933 und 45 haben ihn besonders empfindlich gemacht für das Verhältnis von Judentum und Christentum. So hielt er dieses Jahr Ende Januar in St. Stephan eine Messe zur Erinnerung an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz.

 

Die Verbundenheit des Jüdischen mit dem Christlichen war und ist sein Thema – ein langes Pfarrerleben lang. Ob seine jüdische Herkunft bei Chagalls Entscheidung eine Rolle gespielt habe – das habe ich Monsignore Mayer dann gefragt. Zu meinem Erstaunen meinte er dann, entscheidend sei das für Chagall nicht gewesen.

 

Mayer: Zunächst einmal hat er gar nicht gewusst, dass ich eben einen jüdischen Vater hatte. Das hat er erst viel später erfahren. Damit wusste er, dass ich nicht auf der Täter-Seite stehe, […] aber das hätte niemals ausgereicht, um ihn zu gewinnen.

 

 

Und was war´s dann, fragte ich, womit Sie Chagall gewinnen konnten?

 

Mayer: Dass wir uns verstanden haben. Aber das hat Jahre gedauert. […] Es hat ein ganzes Jahr gedauert, bis ich ihn das erste Mal besuchen durfte. Ich durfte wiederkommen, ich durfte immer wieder kommen. Er war sehr interessiert, umwerfend bescheiden, sehr liebenswürdig, aber er blieb immer unverbindlich. Ich bekam kein Ja. Ich musste lernen, dass man von Chagall erst ein Ja bekommt, wenn er das Bild in sich schaut.

 

[…] 1976 im Sommer. Und da hat es dann der liebe Gott so gelenkt und gefügt, dass Marc und Vava Chagall mir ihre Freundschaft schenkten und dann hat es noch einmal ein paar Monate gedauert und dann hat er angefangen […] und am 30. Dezember 1976 bekam ich einen Brief von Vava Chagall, – sie hat die Korrespondenz geführt – immer! – und um ihn frei zu halten für seine künstlerische Tätigkeit, eine großartige Frau – und dann hat mir Vava […] mitgeteilt, dass ihr Mann an einem Fenster für St. Stephan arbeite. Und da wusste ich – so gut kannte ich ihn damals schon: wenn sie mir das schreibt, schreiben darf, dann hat er´s schon. Und so war es auch.

 

Marc Chagall wird ja Meister der Farbe und der biblischen Botschaft genannt. Und das war ja auch das, was mich beim Schauen der ersten Reproduktionen so fasziniert hat: seine biblische Botschaft. […] Diese Bilder sind ja Verkündigung, […] gefüllt mit Bibel. Und meine Aufgabe sah ich natürlich dann darin, über die Kunst, nämlich seine Bilder, die Menschen zur Bibel hinzuführen.

 

 

Und genau das funktioniert! Ich war als Gemeindepfarrer mit Konfirmandengruppen in St. Stephan. Selbst laute Konfi-Gruppen wurden in dieser Kirche stiller und suchten – wir nannten das damals Bibel-Rallye – zu den biblischen Geschichten die entsprechenden Darstellungen auf den Mainzer Chagall-Fenster, auch meinen eigenen Kindern habe ich in St. Stephan die zentralen biblischen Geschichten erzählt, die auf den Fenstern vorkommen.

 

Fast genau vor 30 Jahren, am 28. März 1985, starb Marc Chagall. Seine Beerdigung, höre ich von Klaus Mayer, der dabei war, muss eine ausgesprochen schlichte Feier gewesen sein.

 

Mayer: Am 28. März 1985 bekam ich morgens einen Anruf von einer Dame in der Pfarrei, im Radio sei gekommen, Marc Chagall sei gestorben.

 

Und da waren natürlich viele zur Beerdigung gekommen, auch die Jacquelin Picasso zum Beispiel. Zu der orthodoxen jüdischen Gemeinde in Nizza hatte er nicht so viel Kontakt und die wären wohl auch nicht auf den christlichen Friedhof gegangen. Also es war kein Geistlicher da. … aber es war ja nun kein Grab da. Er hat sich zwar mit dem Tod in seinen Bildern beschäftigt, aber er hat nie daran gedacht, dass er auch ein Grab für sich braucht. Und dann kam es ja zu diesem ökumenischen Zeichen, dass nämlich auch weil so schnell kein Grab zu beschaffen war, der christliche Bürgermeister […] von St. Paul de Vence […] ihn in seinem Familiengrab – da war noch ein Platz frei – Asyl gewährt hat.

 

 

Warum eigentlich kommen so viele Menschen nach St. Stephan und schauen sich diese Fenster an? Das habe ich den alten Monsignore gefragt. Wie gesagt, etwa 200.000 Touristen im Jahr. Vielleicht hängt es damit zusammen. Chagalls Bilder, so Mayer …

 

Mayer: … haben eine unglaubliche Anziehungskraft und die Bilder sprechen ganz menschlich an. Und ich bin schon überzeugt, dass die Mystik in diesen Bildern der wichtigste Faktor ist, warum die Fenster wie ein Magnet wirken.

 

 

Die Mystik Chagalls ist zentrales Thema, wenn Pfarrer Mayer über Chagall redet. Und er tut dies nahezu jede Woche in öffentlichen Führungen in der Kirche. Zu diesen Führungen kommen Hunderte von Menschen – seit Jahrzehnten. Was aber ist sie – die Mystik Chagalls?

 

Mayer: Es geht Chagall nicht nur um das Vordergründige, sondern wesentlich wie der Bibel um das Hintergründige. Bei ihm: alles, was er malt, auch die nicht biblischen Motive, sind transparent, deuten immer über sich hinaus. Und das kann ja auch gar nicht anders sein, denn wenn unsere Welt eine Schöpfung Gottes ist, dann kann es nicht anders sein, als dass sie in allen Lebensbereichen über sich hinausweist, transparent ist, offen auf Gott ist.

 

 

Ich glaube, unter vielem anderen ist es das, was die Atmosphäre in der Mainzer Stephanskirche ausmacht. Die Offenheit, die Transparenz auf etwas ganz anderes hin.

Der Grundton, der St. Stephan in Mainz durchleuchtet, ist blau. Nicht ein Blau, viele Blautöne:

 

Mayer: Blau – die Farbe des Himmels. Der Himmel in der Bibel ist Zeichen für die Herrlichkeit Gottes. Psalm 19: Die Himmel rühmen die Herrlichkeit Gottes. Vom Werk seiner Hände kündet das Firmament. Dieser blaue Grundton, den er für die Fenster gewählt hat, hat eine ganz eigene Aussage und Bedeutung: nämlich uns eine Ahnung zu vermitteln von dem, was Mysterium ist, von dem unergründlichen, unauslotbaren Geheimnis des unsichtbaren Gottes. Und zwar gerade in den vielfältig abgestuften unterschiedlichen Blautönen.

 

 

Chagalls Fenster in Mainz sind keine Auftragsarbeit. Was die Gestaltung angeht, hatte Chagall alle Freiheit.

 

Mayer: Lieber Herr Chagall, malen Sie an biblischer Botschaft das, was für die Menschen unserer Tage am wichtigsten ist. Und ich bin überzeugt, kein Fachtheologe hätte ihm das Konzept so sagen können, wie er es als Mystiker geschaut hat. […] Und ganz wichtig ist die Botschaft von der unlöslichen Verbundenheit des Jüdischen mit dem Christlichen, die am kompaktesten ist in Jesus Christus selbst, in dem Juden Jesus.

 

 

Den Juden Jesus sieht man in Mainz am Kreuz. Eine Auferstehungsszene gibt es nicht. Das Auferstehungsbild entsteht innen. Wenn man die Farben, die Kirche, die Figuren und vor allem das Blau auf sich wirken lässt. Das Auferstehungsbild entsteht innen. Nicht in wenigen Sekunden! Instant ist es nicht zu haben. Man braucht schon eine Weile Zeit – da oben in St. Stephan. Dann muss man die steile Gaustraße wieder runtergehn – ins Getriebe der Stadt.

26.03.2015
Pfarrer Peter Oldenbruch