Mode, Menschen, Kirche

Mode, Menschen, Kirche

Gemeinfrei via unsplash.com (Annie Spratt)

Mode, Menschen, Kirche
Die zweite Haut im Protestantismus
04.08.2019 - 08:35
13.06.2019
Peter Oldenbruch
Über die Sendung:

Mode halten überzeugte Protestanten gern für reine Äußerlichkeit. Das ist sie jedoch nie. Meistens drückt sie etwas Inneres aus. So haben Mode und Religion durchaus miteinander zu tun. Die Praktische Theologie beschäftigt sich seit geraumer Zeit mit Mode, so auch der Mainzer Theologieprofessor Kristian Fechtner, der in der Sendung zu Wort kommt.

 
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Sendung nachlesen:

„Das hat also gefallen dir, die Wahrheit anzuzeigen mir, wie aller Welt Macht, Ehr und Gut vor dir nichts gilt, nichts hilft noch tut.“ Textet Martin Luther in seinem berühmten Weihnachtslied. Protestantischer geht‘s nicht! Das Äußerliche gilt nicht. In besonderer Weise gilt das für Kleidung! Der Mode messen gute Protestanten keine große Bedeutung zu. Reine Äußerlichkeit! Und diese Sicht könnte man biblisch ganz gut begründen. Zum Beispiel:

„Alle ihre Werke aber tun sie, damit sie von den Leuten gesehen werden. Sie machen ihre Gebetsriemen breit und die Quasten an ihren Kleidern groß ... und haben‘s gern, auf dem Markt gegrüßt und Rabbi genannt zu werden ...“ (1)

 

Das Äußerliche spielt keine Rolle. Von wegen! Es war in einem ganz normalen Gottesdienst in einer deutschen Kleinstadt. Da sitzen zwei noch ziemlich junge Leute nun nicht in den hinteren Reihen, sondern mitten im Kirchenschiff.

Bleich geschminkt, aber schwarz umrandete Augen, toupierte Haare, schwarz gefärbt, lila Lippen, schwarz lackierte Fingernägel, kaputte schwarze Stiefel, schwarzer Gehrock mit weißen Rüschen am Ärmel und schwarze Netzhandschuhe. Reine Äußerlichkeiten! Aber diese beiden jungen Leute aus der Gothic-Szene, die beiden fallen nicht nur auf. Sie lösen Fragen aus. Und Urteile. Und sie zeigen etwas: Auch für Protestanten hat Mode eine Bedeutung. Mode ist nie reine Äußerlichkeit. Nicht einmal wenn ich ganz bewusst unmodisch sein will. Zum Beispiel auf dem evangelischen Kirchentag. Was da auffällt, ist das bewusst Unauffällige. Kaum jemand tritt dort im Business-Anzug auf, mit Seidenkrawatte und italienischen Schuhen. Höchstens mal ein Politiker oder ein Professor, die von einem Vortrag zum Ausgang eilen. Farblich überwiegen Pastelltöne: hellblau, beige, grau, auch mal ein blasses Lila. Und natürlich spezielle Sandalen, die mittlerweile sogar Italiener tragen. Schuhe mit hohen Absätzen, lackierte Fingernägel, kurze Röcke werden Sie auf einem Kirchentag kaum finden.

Ich lese die Sprache der Kirchentagsmode als eine unausgesprochene, sehr protestantische Ablehnung modischer Äußerlichkeit. Paradox daran ist:

Selbst dieser stille Protest gegen modische Äußerlichkeit kommt als Äußerlichkeit daher. Auch ein unmodischer Kleidungsstil ist Mode. Und sie sagt etwas, sie hat eine Botschaft. Das ist nicht allein auf dem Kirchentag, sondern in jedem Gottesdienst so. Pfarrerinnen und Pfarrer tragen dort einen Talar. Und heben sich damit von den andern in der Kirche deutlich ab. Der Mainzer Theologieprofessor Kristian Fechtner meint, das habe eine religiöse Bedeutung.

 

Kristian Fechtner:

„Zunächst muss man wohl noch mal verstehen, was es eigentlich mit Mode auf sich hat. Mode hat nämlich in sich etwas Widersprüchliches.

Jede Mode trägt ein Versprechen in sich: Das ist das, was in Zukunft gelten soll. Diese Mode ist der letzte Schrei. Das soll auf ewig gelten. Und zugleich wissen wir, dass jede Mode im Grunde wie eine Tageszeitung sofort veraltet, sie hat etwas Vergängliches an sich, sie ist zeitgebunden. In der nächsten Saison gilt tatsächlich wieder etwas anderes. Insofern veraltet Mode sofort. Genau dieser Zusammenhang, dieser Zwiespalt gilt für den Talar eben nicht. Der Talar ist nicht etwas Modisches, sondern etwas Vertrautes, was Pfarrerinnen und Pfarrer immer tragen und getragen haben. Und der Talar steht dafür, dass es etwas Dauerhaftes ist, dass es nicht in der nächsten Saison wieder anders ist. Und das heißt: Der Talar ist der Logik des Modischen enthoben.

Das Amt des Pfarrers, der Pfarrerin, das sich ja im Talar ausdrückt, ist etwas, was nicht das immer Neue verkörpert, was aber auch nicht das Flüchtige, das Vorübergehende verkörpert, sondern es steht für das Dauerhafte, für das Unveränderliche. Deswegen ist es, wenn man so will, das Gegenmodell zum Modischen, das A-Modische.“

 

Aber gleichzeitig scheint‘s mir mit dem Talar wie mit der vermeintlich unmodischen Kirchentagskleidung zu sein. Auch das A-Modische kommt als Äußerlichkeit daher, oder?

 

Kristian Fechtner:

„Ja, das ist richtig. Es gibt ein schönes Bild: Wenn wir von Kleidung sprechen, dann sprechen wir von etwas Äußerlichem. Die erste Haut ist das, was wir am Leib tragen, wenn wir nackt sind. Und über diese erste Haut kleiden wir uns in einer zweiten Haut, also modischer oder altmodisch gestalteter Kleidung.

Und was passiert eigentlich, wenn Pfarrerinnen und Pfarrer einen Talar anziehen? Dann ziehen sie sich ja vorher nicht nackt aus, sondern sie überkleiden ihre zweite Haut. Und der Talar ist dann so etwas wie eine dritte Haut. Diese dritte Haut ersetzt nicht die zweite Haut, sie ersetzt nicht die weltliche Kleidung, sondern sie überkleidet sie.

Das heißt, dass die weltliche Kleidung nicht im Widerspruch zur geistlichen Kleidung steht, sondern das, was wir geistliche Kleidung, religiöse Kleidung nennen und auch sehen, überkleidet das Weltliche.“

 

Auch der Talar sagt also etwas, lange bevor ein Wort gesprochen wurde. Aber was ist die Botschaft? Theologieprofessor Fechtner sagt:

 

Kristian Fechtner:

„Der Talar hat im Grunde zwei Botschaften. Und zwar zwei religiöse Botschaften. Die erste religiöse Botschaft ist: der Talar verbirgt ganz viel von der Leiblichkeit eines Menschen, er umhüllt den Körper, die Arme, die Beine und lässt im Grunde nur die Hände und das Gesicht frei. Das ist gut protestantisch und würde sagen: Das Entscheidende spielt sich durch Mund und Ohren und durch Hände ab.

Und der zweite Hinweis ist: Es gibt nur wenige Menschen, die in unserm sozialen Zusammenhang einen Talar anlegen. Und das in einer besonderen Situation. Sie unterscheiden sich damit von allen anderen. Und auch dies könnte man religiös deuten, Religion – dafür steht dann der Talar – Religion ist etwas, was von den Beschäftigungen, von den Alltagsvollzügen des Menschen unterscheidet. Der Talar steht für Religion als einer anderen Wirklichkeit. Und der Clou daran ist: wenn man das aufnimmt, kann man dies auch in unserer weltlichen Alltagskleidung sehn. Menschen kleiden sich, um sich auch zu unterscheiden von anderen.

Also offensichtlich gehört zu Kleidung, also zum Vestimentären dieses Moment der Differenz, des sich Unterscheidens, des sich anders Anziehen als andere.“

 

Kleidung macht den Unterschied und sie sagt etwas. Ohne Worte zu machen. Heute sagt zum Beispiel ein Kopftuch etwas ganz anderes als es sagen wir – 1953 gesagt hätte, als viele Frauen ganz selbstverständlich mit Kopftüchern unterwegs waren.

 

Einer der großen Philosophen und evangelischen Theologen, der Däne Sören Kierkegaard, kleidete sich als junger Mann so:

„Er hatte etwas sehr Unregelmäßiges in seiner ganzen Gestalt und eine sonderbare Frisur. Sein Haar stand in einem hochfahrenden Kamm beinahe einen Viertelmeter über seiner Stirn empor.“ (2)

 

Darüber hinaus kostümierte sich Kierkegaard mit modischen Details des 19. Jahrhunderts: frisch gestärkter Vatermörder, elegante Halsbinde und Rüschen. Ein Dandy! Als erwachsener Mann – er starb bereits mit 42 Jahren - legte er auf ausgefallene Kleidung keinen Wert mehr. Im Gegenteil: nun zog er sich wegen seiner abgetragenen Garderobe den Spott seiner Zeitgenossen zu. In beiden Fällen benutzte Kierkegaard Kleidung als religiöse Geste. Die extravagante Kleidung des jungen Kierkegaards signalisierte „den Ausbruch aus dem von Schwermut und religiösem Wahn geprägten Milieu seines Elternhauses“ (3).

 

Als 40jähriger protestierte er mit seiner abgetragenen Kleidung gegen die kirchlichen Würdenträger seiner Zeit, die in prächtiger Kleidung daherkamen. Kierkegaard hätte sich mit seinem nonverbalen Protest mit guten Gründen auf die Weherufe Jesu berufen können.

Der hatte die Mode der geistlichen Würdenträger seiner Zeit so kritisiert:

„Alle ihre Werke aber tun sie, damit sie von den Leuten gesehen werden. Sie machen ihre Gebetsriemen breit und die Quasten an ihren Kleidern groß ... und haben‘s gern, auf dem Markt gegrüßt und Rabbi genannt zu werden ...“ (4)

 

Dass der Theologe Kierkegaard die Sprache der Mode in dieser Weise benutzte, war kein Zufall. Er warnte ein Leben lang vor den Gefahren einer angepassten Religion, eines konformen Christentums. Christ sein – für ihn bedeutete das auch etwas Widerständiges gegen die Strömungen der Zeit. Das gemütliche Dahinplätschern des eigenen Lebens war ihm suspekt. Seine eigene Unangepasstheit drückte er nicht allein in seinen Schriften aus, er kleidete sich auch so. Und was immer wir tragen, sagt anderen etwas über uns, drückt etwas Inneres aus: wer wir sein wollen, wer nicht, wohin wir gehören wollen, wie wir gesehen und verstanden werden wollen. Und so gesehen hat es die Mode insgeheim mit Religion zu tun, mit der Suche nach Seligkeit. Nicht selten werden Kleidungsstücke als „Seligkeitsdinge“ erlebt. Unbedingt will ich dieses Teil haben und sofort anziehen und am liebsten tagelang tragen. Und nicht nur Jugendlichen geht das so mit bestimmten Markenklamotten. Mit Mode drücken wir Gefühle aus und Befindlichkeiten und nicht selten eine Sehnsucht, in der mehr steckt, als uns jeweils bewusst ist. Professor Fechtner sagt es so:

 

Kristian Fechtner:

„In der Mode wie in jeder Kleidung gibt es zwei Beziehungen.

Einmal die Beziehung zu anderen: wir teilen etwas mit, indem wir uns so oder anders kleiden.

Und eine Beziehung auf uns selbst: wir drücken etwas aus von dem, was wir sind, was wir sein wollen, was wir uns wünschen, wer wir sein möchten.

In dem Moment, wo ich mich besonders feierlich kleide, bei einer Einladung, signalisiere ich den anderen: ich teile dir etwas mit und zwar nicht verbal, nicht indem ich etwas sage, sondern indem ich mich in einer bestimmten Weise zeige.

Oder umgekehrt: wenn ich zu einer Einladung besonders schlampig komme oder außergewöhnlich gekleidet. Also: es hat einen Mitteilungscharakter, es ist ein kommunikativer Akt.

Und jede Form der Kleidung, insbesondere der Mode bezieht sich auf etwas, was mir wichtig ist an mir. Ich nehme eine bestimmte Rolle ein, ich zeige etwas von meiner Person, verberge vielleicht auch etwas von der Person.

Sich kleiden heißt: sich selbst inszenieren. Und das meine ich nicht in einem negativen Sinne, sondern: wir sind alle Darsteller, Darstellerinnen unsrer selbst, weil wir etwas von uns selbst zum Ausdruck bringen.

Das Äußerliche ist etwas, was wir veräußerlichen von uns selbst.

Und das könnte man sogar weiter ausziehen: auch Menschen, die sich religiös artikulieren, tragen in bestimmter Hinsicht ja Kleidung. Das fällt uns immer dann auf, wenn es um Kleidungsstücke geht, die eher ungewöhnlich sind.

In unserm Zusammenhang: wenn ein Sikh seinen Turban trägt oder eine Nonne ihr Habit und ähnliche Dinge, aber im Grunde immer dann, wenn wir in den Gottesdienst gehen und uns in besonderer Weise kleiden.

Also: Modus der Kommunikation ist Kleidung und Expression, Ausdruckhandeln dessen, was für mich wichtig ist.“

 

„Denn nicht sieht der Herr auf das, worauf ein Mensch sieht. Ein Mensch sieht, was vor Augen ist, der Herr aber sieht das Herz.“ (5)

 

Ich kann gar nicht anders als das zu sehen, was vor Augen ist. Zunächst jedenfalls. Und ich gebe zu: die beiden schwarz gekleideten jungen Leute würden mich in einem Gottesdienst, den ich zu halten hätte, irritieren. Ebenso wie die massiven Tätowierungen oder Piercings, denen ich gelegentlich begegne. Das ist sicherlich auch ein Generationenproblem. Aber: Kleidung macht den Unterschied und sie sagt etwas. Ohne Worte zu machen. Das gilt es zu entschlüsseln. Vielleicht: Nimm diese jungen Leute im auffälligen Schwarz als Suchende wahr! Sie suchen sich, sie grenzen sich mit ihrer Mode ab. Und wollen doch verstanden werden. Womöglich suchen sie insgeheim nach Gott. Anders als ich, vielleicht aber ganz ähnlich wie der junge, geckenhaft auftretende Theologe Kierkegaard und ähnlich wie der erwachsene, der bewusst nachlässig auftrat. Ich stelle mir vor: um den einen Tisch, eingeladen zu Brot und Wein, stehen die unterschiedlichsten Menschen. Manche sehen ganz schön verrückt aus, andere ziemlich verhuscht und wieder andere unsäglich aufgebrezelt, aber da ist kein Ansehen der Masken, die wir tragen.

 

Ist‘s also gleichgütig, womit wir uns kleiden? Nein, nie! Mit unserer zweiten Haut zeigen wir uns selbst, zeigen wir auch unser Herz, wir unterscheiden und verbergen uns. Sei das nun modisch, altmodisch oder a-modisch. Das darf auch so sein. Dazu hat uns Gott den Geschmack gegeben.

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Literaturangaben:

  1. Mt 23,5.7
  2. Hans Brochner, Erinnerungen an Sören Kierkegaard, Bodenheim 1997, zit. nach: Klaas Huizing, Mode, in: Handbuch Religion und Populäre Kultur, hg. v. Kristian Fechtner u.a., Stuttgart 2005, S. 193
  3. Klaas Huizing, a.a.O
  4. Mt 23,5.7
  5. 1. Sam 16,7
13.06.2019
Peter Oldenbruch