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Die meisten „Hallelujas“ erschallen in Kirchen. „Gepriesen sei Gott“, wer sagt oder singt das schon im Alltag oder außerhalb der Kirchenmauern?!
Das Halleluja, das der kanadische Liedermacher und Poet Leonard Cohen im Jahr 1984 geschrieben hat, wird auf der ganzen Welt gesungen. Das Lied gehört zu den weltweit beliebtesten und bekanntesten Pop-Songs. Und zu den am häufigsten „gecoverten“ Songs, von vielen prominenten Sängerinnen und Sängern wurde es nachgesungen: John Cale. Bob Dylan und Joan Baez. Bono. Bon Jovi. In Deutschland Max Prosa und – ja, auch die! – Helene Fischer. Und erstaunlicherweise ist Leonard Cohens „Hallelujah“ nach seinem Triumphzug durch die Welt in die Kirchengebäude eingezogen. In Gottesdiensten wird es gesungen, bei Hochzeiten, Trauerfeiern, solo oder von Chören.
Ein YouTube-Video zum Beispiel zeigt den anglikanischen Pfarrer Ray Kelly in England, der es bei einer Trauung unerwartet selbst für das Brautpaar singt. Das geht zu Herzen. Bald werden 100 Millionen Menschen dieses Video gesehen haben.
Der Erfolg des „Hallelujah“ verwundert. Sicher, die Melodie ist wunderschön und eingängig, ohne gefühlsheischend zu sein. Aber der Text: Der strotzt nur so von biblischen Anspielungen und tiefsinnigen, mystischen Erläuterungen zu den Themen, die die Menschen im Innersten bewegen: Liebe. Versuchung. Abhängigkeit. Gott.
Das Lied spiegelt auch Leonard Cohens eigene Lebensthemen. Der Jude Cohen, 1934 geboren, wuchs in gläubigem Elternhaus im kanadischen Montreal auf. Die Familie hielt die jüdischen Rituale ein, in freier, nicht in strenger Weise.
Seine Kinderfrau, eine irische Katholikin, nahm den kleinen Leonard auch mal mit in die Kirche und erzählte ihm von Jesus.
Zu dieser Zeit lernt er bereits das „Halleluja“ kennen: am Schabbat in der Synagoge, und Sonntag in der Kirche. Vielleicht ist das der Grund, weshalb ihm zeitlebens die Grenzen zwischen Religionen und Konfessionen nicht wichtig sind. Cohen ging es um Größeres, um eine Art mystischen Glauben. Der blieb sein Lebensthema. Er war neugierig darauf, wie und was andere glauben. Da hielt er es mit dem Apostel Paulus: „Prüft alles und behaltet das Gute.“
Neugierig ging Leonard Cohen auch auf Jesus zu. Der beeindruckte ihn über alle Maßen. In seinem ersten „Hit“, „Suzanne“, setzte er ihm ein poetisches Denkmal:
(Musik) And Jesus was a sailor when he walked upon the water. And he spent a long time watching from his lonely wooden tower…
Jesus als Seemann, der rettet und tröstet und der Seele ganz nah kommt: So intensiv und freigeistig, wie Leonard Cohen es tat, beschreiben wenige den Sohn Gottes. Dennoch: Cohen blieb zeitlebens dem Judentum treu.
In seiner letzten Pressekonferenz im Oktober 2016, vier Wochen vor seinem Tod, fasste er seine Glaubensüberzeugung zusammen:
Ich habe mich nie für eine religiöse Person gehalten. Ich habe keine spirituelle Strategie. Ich stolpere auf diesem Gebiet herum, wie so viele von uns es gelegentlich tun. Ich habe die Gnade einer anderen Gegenwart in meinem Leben erfahren. Die biblische Landschaft ist mir sehr vertraut, ich benutze ihre Orientierungspunkte. Früher verstand und kannte sie jeder und konnte sie verorten. Das ist heute nicht mehr so, aber es ist immer noch meine Landschaft. Ich versuche, diese Bezüge herzustellen, ich bemühe mich darum, dass sie nicht zu unverständlich sind. Aber davon abgesehen wage ich es nicht, irgendetwas im spirituellen Bereich für mich zu beanspruchen. (Cohen)
In manchen seiner Liedtexte und Gedichte wirkt Leonard Cohen wie ein Prediger, ein Verkündiger der Liebe im biblischen Sinn. Die hängt nicht immer mit schönen Gefühlen zusammen, sondern hin und wieder auch mit dunklen Abgründen. Cohen selbst litt zeitweise unter starken Depressionen. Oft wirkt es, als sänge er sich selbst Hoffnung und Mut zu. Etwa in dem Lied „Anthem“, auf deutsch: „Hymne“:
Musik: Ring that bell that still can ring / forget your perfect offering / There is a crack in everything, / that’s how the light gets in / that’s how the light gets in
In allem ist ein Riss, durch den das Licht eindringt. Selbst in den hoffnungslostesten Momenten, in den traurigsten Menschen, in den schmerzhaftesten Situationen.
Das Lied „Hallelujah“ scheint wie die Krone auf dem musikalischen Lebenswerk Leonard Cohens. Die Botschaft lautet: Auch in den verworrensten Situationen, in die dich das Leben geschubst hat – oder in die du dich selbst hineinmanövriert hast, solltest du ein „Halleluja“ auf den Lippen oder mindestens im Sinn haben.
Wenn du dich selbst nicht wiedererkennst, am liebsten weglaufen oder vor Schuld und Scham vergehen würdest – gibt dir ein „Halleluja“ wieder Halt. Wenn du erschüttert bist von dem, was dir widerfährt – oder von dem, was du anderen antust – dann macht das Gotteslob dir das Weiterleben erträglich.
Seine schweren Themen kleidet Cohen in betörend schöne Poesie.
1980, als er den Song „Hallelujah“ zu schreiben begann, war er 44 Jahre alt. Was er dabei im Sinn hatte? Das beschrieb er so:
Die Welt ist voller Konflikte und Dinge, die nicht wieder ins Lot gebracht werden können. Aber es gibt Augenblicke, in denen wir das dualistische System durchdringen und das ganze Durcheinander miteinander aussöhnen und umarmen können… Egal wie unmöglich eine Situation sein mag, es gibt Augenblicke, in denen man den Mund öffnet und die Arme in die Höhe reißt… und einfach ruft: ‚Halleluja‘.
Leonard Cohens persönliche Situation regte nicht gerade zum Gotteslob an – oder vielleicht doch? Er schlitterte gerade in eine Krise, auf mehreren Ebenen: Die letzten Langspielplatten hatten sich nicht mehr so gut verkauft. Ja, er war noch ein Star, auch in Europa. Aber die großen Hits blieben aus. Der Zauber der Anfangsjahre war längst verflogen. Seine Ehe war zerbrochen. Sein Lebensstil forderte seinen Tribut. Cohen versank in tiefen Depressionen. Er versuchte, sie mit Medikamenten zu bekämpfen. Und mit Alkohol.
So begann er mit der Arbeit an „Hallelujah“. Strophe für Strophe. Am Ende werden es rund 180 sein, aus denen er dann einige vertont. Cohen gewährt darin Einblick in seine Seele, die vieles erlebt und durchlitten hat. Einer, der die Verstrickung in Schuld und die Angewiesenheit auf Vergebung kennt. Und dem der Glaube an Gott zu wichtig ist, um ihn von den wichtigsten Lebensbereichen auszuschließen.
Leonard Cohen schreibt einen Psalm. Ein Gebet. Und er bedient sich dafür im Heiligen Buch, in der Tora. Die Schicksale zweier biblischer Männer rühren ihn seit seiner Kindheit. Aus der Tora kennt er sie. Aber auch aus der klassischen Kunst. Denn sie inspirierten Maler wie Musiker aller Epochen zu bewegenden Werken.
Der eine Mann heißt Simson. Liebestrunken verrät der starke Krieger seiner Geliebten Delila das Geheimnis seiner Macht: Die steckt in seinen langen Haaren. Daraufhin lässt die durchtriebene Delila ihn selig in ihrem Schoß einschlafen – und schneidet dem Schlummernden sieben Locken ab. Damit ist Simsons Unbesiegbarkeit gewichen. Gegen Geld liefert sie den geschwächten Helden seinen Gegnern aus, den Philistern. Die Liebe war Simson zum Verhängnis geworden. Nachzulesen ist die Erzählung im 16. Kapitel des Buches der Richter.
Der zweite Mann, der Cohen im Herz brennt: David, der berühmte König Israels. Die Bibel berichtet, dass er mit seinem Lautenspiel seinen Thronvorgänger Saul von „bösen Geistern“ befreite – heute würde man sagen: von zerstörerischen Selbstzweifeln oder von Depressionen. Auch für Cohen entfaltet David offensichtlich heilende Kräfte. Auch, weil David – wie Cohen – oft von seinen Lüsten getrieben ist und als Frauenheld galt.
Die biblische Geschichte geht so: Als David vom Dach seines Jerusalemer Palastes aus die schöne Batseba beim Baden sieht, entbrennt er vor Liebe. Er lässt sie zu sich bringen, die beiden schlafen miteinander. Mit absehbaren Folgen: Batseba wird schwanger. David will sie ganz für sich haben. Also schickt er ihren Ehemann, den Soldaten Uria, in den Krieg, und zwar an vorderste Front. Uria wird in einer Schlacht getötet – und David heiratet die Witwe Batseba. Sie gebiert das gemeinsame Kind.
Dem Herrn missfiel, was David getan hatte -
berichtet die Bibel weiter. Eine tragische Strafe folgt: Das gemeinsame Baby stirbt. In den Wirren der Liebe hat David, der verehrte Mann Gottes und Herrscher Israels, große Schuld auf sich geladen.
Die Schicksale von Simson und David verwebt Cohen mit seinen eigenen Sehnsüchten und Erfahrungen. In einem Gedicht hatte sich Cohen zuvor selbst bereits beschrieben als einen Mann, „der von Stadt zu Stadt zog“, von einem Dach zum anderen, nur um eine Frau beim Bade zu entdecken. Dafür sei er bestraft worden. Der kurze Text endet in der flehentlichen Bitte an Gott:
Lass die Dämonen nicht stärker als deine Gnade werden!
Die Identifikation Cohens mit König David scheint trotz fast dreitausend Jahren Abstand vollkommen.
Den Song „Hallelujah“ lässt er mit einem fantasievollen Gedanken beginnen: Der Musiker König David habe mit einem geheimen Akkord Gott gnädig stimmen wollen. Der mache sich aber wohl gar nichts aus Musik, mutmaßt Cohen. Dann offenbart Cohen die geheime aufsteigende Akkordfolge aus Dur- und Moll-Akkorden – die gleichzeitig im Song gespielt wird. Sie klingt so dramatisch schön, dass wohl David selbst beim Komponieren „baffled“ – also verblüfft – war. Und vielleicht deshalb zum Gotteslob ansetzte: Halleluja. Viermal singt er es im Refrain, das wirkt fast litaneiartig.
Musik: I’ve heard there was a secret chord / That David played when he pleased the Lord / But you don‘t really care for music, do you? / It goes like this: the fourth, the fifth, / the minor falls, the major lifts / the baffled king composing Halleluja. / Halleluja, Halleluja. Halleluja, Halleluja
In der zweiten Strophe spricht Cohen eine Person an – wen, das bleibt ungewiss. Ist es König David? Führt er Selbstgespräche? „Dein Glaube war stark, aber du brauchtest Beweise“, singt er, „du sahst sie baden auf dem Dach, ihre Schönheit und das Mondlicht haben Dich überwältigt.“
Dann wechselt Cohen die Szene: Plötzlich bindet die Schönheit den verliebten König am Küchenstuhl fest, zerbricht seinen Thron und schneidet seine Haare. Fast hämisch wirkt es, dass Batseba dem König in dieser Situation noch ein „Halleluja“ aus dem Mund zieht – so als wolle sie sagen:
Na, willst du jetzt, wo ich dich entmachtet habe, wo du dich mir ganz ausgeliefert hast, immer noch Gott loben? Wo ist es denn hin, dein Halleluja? Kannst du immer noch beten?
Was für eine unerwartete tragische Geschichte: Der gläubige König sucht Liebe und Lust, begibt sich in Abhängigkeit, wird entmachtet – und soll dennoch – oder jetzt erst recht? – Gott loben. Wofür denn bitteschön? Noch dazu, wo er sich selbst in diese offensichtlich hilflose und unmoralische Lage gebracht hat, sich auf eine erotische Affäre mit einer unbekannten verheirateten Frau einzulassen!
In der dritten Strophe deutet Leonard Cohen das Geschehen. Nun wisse er, dass die Liebe kein „Siegesmarsch“ ist, sondern „ein kaltes und gebrochenes Hallelujah“. In einer anderen Strophe geht er noch weiter und stellt das „heilige“ mit dem „gebrochenen“, dem „broken“ Halleluja auf eine Stufe. Später kommentiert er diese Passage:
Der Song erklärt, dass es mehrere Formen des Halleluja gibt und dass alle perfekten wie gebrochenen Hallelujas dieselbe Wertigkeit haben.
In der folgenden Lied-Strophe spitzt Cohen das Thema noch mehr zu.
Musik: There was a time you let me know. / I Know this room and I’ve walked the floor /
You see, I used to live alone before I knew you /
Remember when I moved in you / the holy dove was moving too
And every breathe you take was Hallelujah
Denk dran, als ich mich in dir bewegte, da bewegte sich mit uns die heilige Taube. Und jeder unserer Atemzüge war ein Hallelujah.
Ja, so meint Cohen es wohl: Der Heilige Geist, symbolisiert durch die Taube, sei auch in der Lust gegenwärtig. Sogar in die sexuelle Wonne mische sich ein Halleluja. Irdische Lust und himmlische Freuden schließen einander nicht aus. Im Gegenteil. Körperliche Vereinigung sei auch eine spirituelle Angelegenheit – oder besser, sie sollte es sein.
Bei aller mystischen Romantik hat Cohen auch die abgründige Seite der Sexualität nicht vergessen. Dabei gehe es
nicht um Wein und Rosen und den mondbeschienenen Vorhang, der von einer leichten Brise bewegt wird. Es ist viel rauer und gefährlicher als das, was wir normalerweise mit Romantik in Verbindung bringen.
Wer es schafft, durch diese Klippen der Begierde und Besessenheit zu schiffen, der stehe schließlich mit leeren Händen vor Gott und können nur auf dessen Gnade rechnen.
Cohen selbst war zeitweise besessen von Frauen – das gab er einmal offen preis.
Wenn man begehrt, ist es schwierig zu wissen, wo man selbst steht. Es ist überwältigend, man nennt es die Versuchung – eine höchst problematische und gefährliche Macht.
Wie eine Lebensbeichte hört sich denn auch die letzte Strophe von „Hallelujah“ an:
Musik: I did my best, it wasn’t much / I couldn‘t feel, so I learned to touch. / I‘ve told the truth I didn‘t come here just to fool you. / And even though it all went wrong / I’ll stand right here before the Lord of song / With nothing on my tongue but Hallelujah.
Ich habe mein Bestes getan, viel war es nicht. Ich konnte nicht fühlen, also habe ich versucht, zu berühren. Ich sagte die Wahrheit und wollte Dich nicht zum Narren halten. Und obwohl alles falsch gelaufen ist, stehe ich nun vor Gott, dem ‚Lord of Song‘, mit nichts auf meiner Zunge als Halleluja
Was für ein Bild: Reumütig steht Cohen vor dem „Gott der Lieder“ und hofft auf Gnade. So wie einst König David.
„Halleluja“: Das Lied ist eine beeindruckende Selbstoffenbarung. Es trifft ins Herz – weil es die Zuhörerinnen und Zuhörer mit ihrem Inneren, mit ihren religiösen und körperlichen Sehnsüchten konfrontiert. Zwischen den Zeilen bietet es die Sprache der biblischen, der jüdisch-christlichen Tradition als Trost an. Es kommt nicht moralisch daher, es bewertet nicht, es verleiht irdischen Gefühlen keine göttlichen Weihen, nein: Es beschreibt, in welchen Zuständen sich Menschen befinden. Und es bietet unaufdringlich die biblische Sprache und das Gotteslob an, um das Leben zu verstehen und besser mit den eigenen Unzulänglichkeiten und selbstgeschaffenen Abhängigkeiten leben zu können.
Es gilt das gesprochene Wort.
Musik dieser Sendung:
- Leonhard Cohen: Hallelujah, CD-Titel: Live in Dublin.
- Leonhard Cohen: Suzanne, CD-Titel: Songs of Leonhard Cohen.
- Jeff Buckley: Hallelujah (Leonhard Cohen), CD-Titel: Hallelujah.
- Leonhard Cohen: Anthem, CD-Titel: Live in Dublin.
- Leonhard Cohen: Hallelujah, CD-Titel: Songs oft he Road.