Die Unruhe begrenzen

Feiertag
Die Unruhe begrenzen
Über die schwere Kunst der Muße
01.05.2016 - 07:05
02.05.2016
Pfarrerin Angelika Obert

Über die Sendung

Mehr Ruhe, das wünscht sich heute fast jeder Mensch. Vielleicht wäre es gut, die Unruhe als menschlichen Grundzustand zu akzeptieren. Und sich selbst dann Phasen der Muße zu erlauben, bewusste Begrenzungen der Unruhe.

 

Sendung zum Nachhören

Ich bilde mir ein, dass ich sie sehr gut ertragen könnte: eine Reihe von freien Tagen, die nur mir gehören und dem was, der Augenblick mir gerade eingibt. Tage ohne To-do-Liste, Tage, die ich verträumen könnte, ohne irgendetwas zu schaffen. Aber ich bin unfähig, sie mir zu gönnen. Wo ich in naher oder ferner Zukunft blanke Stellen in meinem Kalender entdecke, trage ich garantiert etwas ein: Arbeit, Ehrenamt, Sport. Schließlich ist da ja eine Lücke. Die kann doch gefüllt werden. Und so wird immer wieder eine To-do-Liste gemacht. Denn es gibt ja was zu schaffen.

Im Park sehe ich an schönen Tagen Manche, die einfach mit geschlossenen Augen auf der Wiese liegen und da offenbar noch lange liegen bleiben wollen. Sie sind aber in der Minderheit gegenüber denen, die durchs Grüne joggen, die freie Zeit also nutzen, um etwas für ihre Fitness zu tun. Und auch die Spaziergänger ergehen sich nicht einfach in Frühlingslust. Bei den Gesprächsfetzen, die ich im Vorübergehen mitbekomme, geht es oft um Projekte und Karrierefragen.

Das Leben – wie selbstverständlich dreht es sich für die meisten um die Arbeit – und wenn nicht um die Arbeit, dann doch um Pläne und Vorhaben. Was ist morgen dran? Das drängt natürlich, dazu gehört ein Gefühl von Unruhe, von Getriebensein.

 

Der Stress, werden die Berufstätigen sagen, liegt an den Umständen. Weil es immer schneller gehen muss. Weil die Arbeit sich ständig verdichtet. Weil der Aufwand an Bürokratie steigt. Weil kein Jahr vergeht ohne neue Konzepte, Umstellungen, Innovationen. Kaum ein Berufstand, der nicht klagt über Dauerstress und Überforderung. Wer nicht klagen würde, stünde im Verdacht, von gestern zu sein. In einer Nische zu hausen, die nicht richtig zählt in einer Welt, in der es immerzu vorangehen muss.

 

Aber dann ist der Job ja doch bloß der Job. Es muss noch was dazukommen: das Leben nämlich, das erst jenseits von Büro und Geschäft anfängt. „Work-Life-Balance“ ist das Zauberwort. Gemeint ist nicht die Ruhe nach der Arbeit, sondern all das, was man neben dem Job schließlich auch noch schaffen will: nicht nur die Zeit für die Familie, sondern auch die Zeit für den Sport, die Fortbildung, den Verein, den Kurztrip, den Garten, den Bastelkeller. All das entwickelt seine eigene Dynamik der Unruhe, den sogenannten Freizeitstress. Es gibt so viele Möglichkeiten, noch etwas mehr zu erleben – alle versprechen sie ein Mehr an Lebensgewinn. „Viel gemacht“ – ist das nicht geradezu gleich bedeutend mit „viel gelebt“?

 

Bleib am Ball! Man muss Schritt halten. Mit der Zeit gehen. Jeder kann es schaffen. Die Uhr tickt. So kann es nicht bleiben. Lasst uns durchstarten. Stillstand ist Rückschritt, Stillstand ist die Vorstufe zum Grab...

 

Unzählige Redewendungen zeugen davon, wie normal es für uns ist, immer in Bewegung zu sein und wie unmöglich das Nichts-Tun erscheint, der Zustand der Ruhe. Urlaub? Urlaub ist nötig, heißt es, um mal wieder aufzutanken, die Batterien aufzuladen, um wieder richtig loslegen zu können.

 

Was wäre das auch: eine Zeit, die zu nichts nütze ist, in der gar nichts passiert? Da käme doch Langeweile auf, ein schreckliches Gefühl. Kommt aber gar nicht mehr vor – schließlich gibt es ja Smartphones, Laptops, Fernseher, um sich auch in den Stunden und Minuten, wo nichts anderes geht, irgendwie zu beschäftigen.

 

Die alte Langeweile – das Verströmen von Stunden an verregneten Sonntagen, die gibt es wohl gar nicht mehr. Aber es gibt inmitten all der unaufhörlichen Beschäftigungen doch die Erfahrung des Überdrusses. Eine Unzufriedenheit, die nicht weiß, was sie will. Eine Lustlosigkeit, die sich ständig bedrängt und geärgert findet. „Lasst mich bloß in Ruhe!“ ist die Haltung Vieler, die Ruhe für sich gar nicht mehr kennen.

Ich selbst bin an die Unruhe unserer Tage ganz gut angepasst, aber auch nicht im Reinen mit mir, wenn ich immer mit dem Druck lebe, etwas schaffen zu müssen. Ich möchte der Unruhe auf die Spur kommen und wissen, ob wir ihr denn wirklich so hoffnungslos ausgeliefert sind.

 

Über die „Unruhe der Welt“ hat der Philosoph Ralf Konersmann ein Buch geschrieben. Die Unruhe, sagt er, ist unser Schicksal, jedenfalls in der westlichen Welt – und sie ist auch unsere Passion. Wir leiden unter ihr, wollen sie aber auch erleiden, geben uns ihr mit großer Lust hin. Und das nicht erst, seit es Autos und Flugzeuge, Computer und Smartphones gibt. Zur Unruhe bestimmt finden wir uns vielmehr seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte. Dafür, heißt es bei Konersmann, stehen die Urgeschichten der Bibel, auf die sich das abendländische Denken bis heute bezieht.

 

Ruhe, so die Vorstellung, gab es nur im Paradies, wo der Mensch noch eins war mit der Natur und Gott ganz nah. Aus dem Paradies aber wurden die Menschen vertrieben, als sie vom Baum der Erkenntnis aßen. Mit der Vertreibung aus dem Paradies der Ruhe fängt das menschliche Bewußtsein an. Der Mensch, der denkt und „ich“ sagt, ist eben nicht mehr eins mit der Welt. Mühsal ist sein Los jenseits von Eden.

 

Aber es kommt noch schlimmer, als mit Kain und Abel das erste Brüderpaar auftritt, das von der Mühsal offenbar verschiedene Vorstellungen hat. Kain, der das Feld bestellt, arbeitet hart. Abel, der Hirte, scheint dagegen ein Müßiggänger zu sein, der seine Nahrung fast mühelos den Tieren verdankt.

 

Dass Gott dem Opfer Abels trotzdem den Vorzug gibt, erzürnt den Kain dermaßen, dass er seinen Bruder erschlägt. Von Gott zur Rede gestellt, leugnet er die Untat. Und nun trifft ihn der göttliche Fluch: „Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden.“ (Gen. 4,12)

 

So wird die Unruhe eingeführt – als ein Fluch, hinter den die Nachkommen Kains nicht mehr zurückkönnen. Die Unruhe ist noch etwas anderes als die Mühsal. Sie bedeutet, dass der Mensch den fraglosen Halt verliert, seine Gottesgewissheit und auch seine Selbstgewissheit. Er kann jetzt nicht mehr still halten, ohne dass sich bohrende Fragen nach seinem Woher und Wohin stellen. Er wird nicht mehr stillhalten wollen, weil er dann seiner tiefsten Beunruhigung begegnen muss – so wie es der Philosoph Blaise Pascal in einer berühmten Bemerkung gesagt hat:

 

##“Nichts ist dem Menschen so unerträglich, als wenn er sich in vollkommener Ruhe befindet, ohne Leidenschaften, ohne Beschäftigungen, ohne Zerstreuungen, ohne Betriebsamkeit. Dann fühlt er seine Nichtigkeit, seine Verlassenheit, seine Unzulänglichkeit, seine Abhängigkeit, seine Ohnmacht, seine Leere. Sogleich werden vom Grunde seiner Seele die Langeweile, der Trübsinn, die Traurigkeit, der Kummer, der Verdruss und die Verzweiflung aufsteigen. (B. Pascal)“##

 

Kain kann nicht mehr ruhig sein, nachdem Gott ihm das Zeichen der Unruhe auf die Stirn gesetzt hat. „So ging Kain weg vom Angesicht des Herrn und wohnte im Land Nod“ (Gen. 4, 16) – heißt es im ersten Buch Mose. Weggewendet von Gott ist er unterwegs im Land, das „Unrast“ heißt, denn das bedeutet der Name „Nod“. Er wird ein Städtebauer, seine Nachkommen werden Handel, Industrie und Kunst einführen – auf dem Boden der Unrast beginnt also die menschliche Zivilisation und Kultur, entfalten sich Erfindungsgeist und Schöpferkraft.

 

So weiß es im Grunde schon die Bibel, dass sich die menschliche Kulturgeschichte erst unter dem Fluch der Unruhe entfaltet. Und spätestens mit dem Beginn der Neuzeit beginnen die westlichen Menschen, ihr Kains-Schicksal zu lieben. Sie begreifen die Unruhe als Chance. Gott hat es so gewollt, sagen die Humanisten, damit die Menschen nicht dumm bleiben. Die Unruhe treibt sie an, ihr Wissen zu mehren, sich zu bilden und endlich ganz von selbst in die Vollkommenheit zurückzufinden. Viel zu langweilig war es im Paradies, findet dann zum Beispiel auch Friedrich Schiller. Was wäre das Menschsein denn ohne Entwicklung in der Geschichte?

 

Lange verband sich mit der Idee der produktiven Unruhe die Vision, sie werde am Ende zu einer vollkommenen Gesellschaft führen – aber diese Hoffnung ging mit den Ideologien des 20. Jahrhunderts verloren. Geblieben ist der unaufhörliche Wandel, ist das Getriebensein, geblieben ist die fraglose Normalität der Unruhe.

 

Die Unrast gehört zum Menschen, solange er denkt und wünscht und sich mit andern vergleicht. Aber der Gott der Bibel hat doch ein großes Interesse daran, die menschliche Unrast zu bändigen und zu begrenzen. Die Bibel hört ja nicht mit Kains Weggang ins Land Nod auf. Gottes Geschichte mit den Menschen fängt erst jenseits des Paradieses richtig an. Und sie fängt im Besondern mit Abraham an, der Gottes Stimme hört

 

##“Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Haus in ein Land, das ich dir zeigen will. Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und du sollst ein Segen sein. (Gen. 12,1-2)“##

 

Wer Gottes Stimme hört, wird nicht in Ruhe gelassen. Abraham soll aufbrechen aus der vertrauten Umgebung, er soll sich auf Unbekanntes einlassen. Aber er geht nicht wie Kain unter einem Fluch, sondern sein Aufbruch steht unter dem Segen. Er entfernt sich nicht von Gott, sondern geht Gottes Zukunft entgegen. So weiß er sich gehalten in der Beziehung zu seinem Gott. Er wird seine Ruhe nicht haben und nicht suchen im ererbten Nest. Aber er wird in Ruhe gehen können, wohin Gott ihn führt.

 

Ein paar hundert Jahre später begegnet der Gott Abrahams dem Mose im Dornbusch und gibt ihm den Auftrag, das Volk Israel aus der Knechtschaft zu führen, in die es in Ägypten geraten ist. Wieder geht es um einen Aufbruch – diesmal aus dem Frondienst, der täglichen Plackerei, die nicht zur Besinnung kommen lässt. Gott stellt sich vor als der Befreier und er will, dass die geschenkte Freiheit nicht verlorengeht. Darum schließt er mit Israel einen Bund , dessen Vertragsurkunde die zehn Gebote sind. In denen heißt es noch vor allen ethischen Weisungen: „Du sollst den Feiertag heiligen.“

 

Kirchgänger verstehen das Gebot oft so, als ob ein Tag in der Woche für die Religion bestimmt sei. Aber ganz so ist es nicht gemeint. Die Gottesbeziehung ist nicht auf den Feiertag beschränkt. Der Ruhetag soll vielmehr an die von Gott geschenkte Freiheit erinnern. So heißt es wörtlich im 5. Buch Mose:

 

##“Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tag ist der Schabbat des Herrn, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Rind, dein Esel, all dein Volk, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt, auf dass dein Knecht und Deine Magd ruhen gleichwie du. Denn du sollst daran denken, dass auch du Knecht in Ägyptenland warst und der Herr, dein Gott, dich von dort heraus geführt hat mit mächtiger Hand und ausgestrecktem Arm. (Dtn. 5, 12-15)“##

 

So heilig ist der Ruhetag, dass es im Schöpfungsbericht heißt: Gott selbst hat ihn eingehalten. Auch er ruht am siebten Tag – den Menschen zum Vorbild, die auch jenseits des Paradieses nicht vergessen sollen, dass Gott es gut mit ihnen meint. Von der Freiheit, die dem Menschen trotz aller Mühsal und Wirrnis geschenkt ist, zeugt schließlich auch Jesus. Er steht ein für das Ja, das Gott zu jedem Menschenleben sagt – ein Ja, das alles Tun und Schaffenmüssen relativiert.

 

##“Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. (Mt. 11,28-29)“##

 

Wenn ich mal ins Laufen gekommen bin, tue ich mich schwer mit dem Stehenbleiben. Dabei wäre das gar nicht schlecht: Unterwegs einfach mal stehenzubleiben, um zu merken: Das geht auch. Das Innehalten. Es geht jetzt und nicht erst „gleich morgen“. Die Unruhe, so viel habe ich nun verstanden, ist ja wirklich unser Schicksal. Sie wird nicht irgendwann oder irgendwo aufhören. Es werden immer wieder neue Herausforderungen kommen und im Grunde möchte ich das ja auch, dass mein Leben ein Weg ist, auf dem ich dazulerne und viel erfahre. Nur – immer unter Druck stehen, immer getrieben sein, das möchte ich dann doch nicht. Es leuchtet mir ein, dass ich gut daran tue, die Unruhe zu begrenzen, statt mich immer nur nach Ruhe zu sehnen. Es hilft mir zu bedenken, dass die Pause, der biblische Schabbat, tatsächlich an die Befreiung aus der Sklaverei erinnert. Die Ruhezeit ist nicht bloß zum Auftanken da. Sie ist die Zeit, in der ich bin, wozu mich Gott geschaffen hat: ein Mensch, der sich nicht knechten lässt. Dafür steht das altmodische Wort 'Muße' – für das Maß an wirklich selbst bestimmter Zeit, die für gar nichts anderes da ist als das Selbst-Sein. Da kann ich tun, was der Augenblick mir eingibt, kann es aber auch lassen. Komischerweise ist dieses einfach Bei-mir-selbst-Sein etwas, was mir oft schwieriger erscheint als alles andere. Sollte das etwa bedeuten, dass mir das Frei-Sein schwerer fällt als alles andere?

 

Das kann mit den ungemütlichen Fragen zu tun haben, die auftauchen, wenn ich tatsächlich mal still in meinem Zimmer sitze. Dass ich mir dann ja, wie Blaise Pascal so richtig beobachtet hat, doch gleich aller meiner Unzulänglichkeiten bewusst werde.

 

Zum Freiwerden und Bei-mir-selbst-Sein müsste dann also gehören, dass ich diese Fragen aushalten kann. Ich kann sie besser aushalten, wenn ich nicht mehr glaube, mich selbst durchs Leben steuern zu müssen. Wenn ich mich wie Abraham führen lasse, wenn ich es gelten lasse, dass ich nicht schon immer wissen muss, ob ich alles schaffen werde oder nicht. Gottvertrauen könnte man das nennen. Es steht nicht hoch im Kurs – und ist vielleicht doch der Grund der Freiheit.

 

Die Wissenschaft steht jedenfalls nicht dagegen. Die Hirnforschung sagt: Es sind nicht wir, die Ordnung in unserm Kopf schaffen, sondern der Kopf ordnet sich von selbst, wenn wir ihm Zeit dazu lassen. Der Organismus weiß es besser als wir selbst, wo alles hingehört und wie es sich ordnen will. Wenn wir ihm denn Ruhe gönnen.

 

Darum wäre es nur gut, auch der Langeweile Raum zu geben, die Friedrich Nietzsche als die „Windstille der Seele“ geadelt hat. Weil nicht nur der Kopf, sondern auch die Seele immer wieder mal Windstille brauchen, wär's nicht schlecht, ab und zu im Bus zu sitzen, ohne mit dem Smartphone zu spielen oder gleich das Buch aus der Tasche zu holen. Sich ab und zu wirklich zu langweilen.

 

##“Geh ich zeitig in die Leere, komm ich aus der Leere voll. Wenn ich mit dem Nichts verkehre, weiß ich wieder, was ich soll. (Bertolt Brecht)“##

 

So hat es Bertolt Brecht für sich notiert. Woran mag er gedacht haben, als er schrieb: „weiß ich wieder, was ich soll“? An die nächste Theaterprobe? Sicher, die neuen Einfälle kommen auch, wenn das Gehirn sich in der Ruhe wieder geordnet hat. Aber „was ich soll“ kann ja auch noch etwas Anderes bedeuten: Wozu bin ich denn auf der Welt? Nur für die Mühsal? Nur für die Unruhe? Oder will der Gott, der Ja zu meinem Leben sagt, nicht auch, dass ich mich wohl fühle in diesem Leben? Dass ich Freude daran habe, da zu sein?

 

Um mich wohlzufühlen im Leben, muss ich mich wohlfühlen in meinem Körper, wohlfühlen im Augenblick. Ich darf es jedenfalls wollen. Denn das ist es, was ich soll, wenn ich denn glaube, dass Gott Ja zu mir sagt. Ich soll mich in der Muße üben, der selbstbestimmten Gangart, in der mir das Leben nicht zur Last wird, sondern das Dasein eine Lust bleibt.

 

Weil ich mich einlassen kann auf das, was gerade da ist. Den Baum vor dem Fenster, den Sonnenstrahl auf dem Tisch. Weil ich die Beziehung nicht verliere zu den Dingen, mit denen ich umgehe.

 

Oder ist es sogar umgekehrt? Dass es eben darum geht, sich darin zu üben, den Baum vor dem Fenster, den Sonnenstrahl auf dem Tisch so geruhsam wahrzunehmen, dass sie wirklich bei mir ankommen? Dass ich in dem, was gerade da ist, genug erlebe und nicht immer nach dem Mehr-Tun, Mehr-Erleben Ausschau halten muss?

 

Dass weniger mehr ist – ganz einfach ist es nicht, das wirklich zu glauben, wenn man sich doch schon so sehr daran gewöhnt hat, immer mehr zu wollen. Die Unruhe begrenzen – ich übe es jetzt mal mit Sekundenpausen mitten beim Putzen, mit Minutenpausen vor dem Tisch Abräumen, mit Stehenbleiben beim Spazierengehen. Und – gleich morgen – mit einem Tag ohne To-Do-Liste. Oder noch besser: gleich heute.

02.05.2016
Pfarrerin Angelika Obert