Eine selbstbewusste Frau zwischen Komponisten, Kindern und Karriere: Clara Schumann

Eine selbstbewusste Frau zwischen Komponisten, Kindern und Karriere: Clara Schumann

Bild: Clara Wieck-Schumann (Eigenes Foto einer Originallithographie von Andreas Staub aus eigenem Besitz)

Clara Wieck-Schumann (Eigenes Foto einer Originallithographie von Andreas Staub aus eigenem Besitz)

Eine selbstbewusste Frau zwischen Komponisten, Kindern und Karriere: Clara Schumann
Feiertag mit Pastor Diederich Lüken
22.09.2019 - 07:05
13.06.2019
Diederich Lüken
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Der "Feiertag" im DLF zum Nachhören und Nachlesen.

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200 Jahre ist es her, dass am 13. September 1819 in Leipzig ein Wunderkind geboren wurde. Es hieß Clara Josephine Wieck und war das Kind von Mariane Wieck geb. Tromlitz und Friedrich Wieck. Sie erzielte eine internationale Karriere als Pianistin. Das war in jener Zeit durchaus ungewöhnlich. Die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau war eindeutig – der Mann stand im Berufsleben, und die Frau hatte dafür zu sorgen, dass er das auch konnte; das heißt: Sie erledigte seinen Haushalt und gebar ihm seine Kinder. Für ein Fortkommen in einem Beruf hielt man eine Frau für unfähig. Das galt im Besonderen auch für die Musik. Sie war eine Männerdomäne. Clara Schumann brach in diese Männerwelt ein, und zwar als Pianistin wie als Komponistin. Jedoch ist ihr Lebenslauf nicht zu verstehen ohne den Einfluss von drei Männern.

Der erste Mann in Clara Schumanns leiblichem und musikalischem Leben war Friedrich Wieck, ihr Vater. Als Clara fünf Jahre alt war, begann ihr Vater, seine pädagogischen Fähigkeiten an ihr auszuprobieren. Es galt, der musikalischen Welt zu beweisen, dass der Ansatz des Klavierpädagogen geeignet war, große Pianisten heranzubilden. Er versuchte, sie zu einem pianistischen Wunderkind zu erziehen. Es blieb ihr keine Wahl. Sie musste am Klavier funktionieren. Die Bestätigung, dass die pädagogischen Einsichten und Lehren Genies hervorzubringen imstande waren, hatte Vorrang.

Der zweite Mann in Claras Wiecks Leben war Robert Schumann. Als Clara neun Jahre alt war, nahm der neun Jahre ältere Klavierschüler Wohnung bei Friedrich Wieck. Noch waren die Beziehungen zwischen Robert Schumann und Clara Wieck wie zwischen großem Bruder und kleiner Schwester. Er war 18 Jahre alt, sie erst neun. Es mussten noch mehrere Jahre vergehen, bis es zum ersten Kuss kam. Dem Vater Claras blieb diese Liebschaft nicht verborgen. Sie fand seinen starken Widerstand. Friedrich Wieck befürchtete, dass sein Schüler ewig ein zweitklassiger, nahezu brotloser Musikant werden würde. Dazu hat auch eine Versteifung seines Mittelfingers geführt Die Lähmung an seiner rechten Hand war irreversibel, aus der Karriere als Pianist wurde nichts. Eine Laufbahn als Komponist war denkbar, aber höchst risikoreich. Die Liebe siegte; 1837 verlobten sich die Liebenden heimlich. Robert schrieb wenig später einen Brief, in dem er den Vater um die Hand seiner Tochter bat. Das war in jener Zeit die Voraussetzung für eine Heirat. Dieser ließ die jungen Leute zunächst im Ungewissen, wie er darauf reagieren wollte. Es kam zu einer Unterredung Schumanns mit Friedrich Wieck, in der der Vater jede Möglichkeit einer Heirat mit seiner Tochter ausschloss. Eigenständige Entscheidungen waren den Frauen in dieser Zeit nicht möglich. Aber Clara hatte den festen Willen, mit Robert ihr Leben zu teilen. Eine lange Zeit des Streitens zwischen Vater und Tochter brach damit an. Er verbot ihr jeden Kontakt zu Robert. Die Liebenden trafen sich heimlich und schrieben einander glühende Liebesbriefe, in denen sie sich ewige Treue zuschworen. Die Strenge ihres Vaters konnte Claras Willen nicht brechen.

Zwei Jahre später beendete das Liebespaar diese missliche Situation und ging vor Gericht. Entweder sollte der Vater verpflichtet werden, der Heirat zuzustimmen, oder die Heirat würde von Amts wegen gebilligt. Sie gewannen den Prozess und heirateten 1840. Clara stand kurz vor ihrem 21. Lebensjahr. Nun konnten sie ihre gemeinsame Wohnung beziehen, die sie schon vor der Eheschließung eingerichtet hatten. Sie war so groß, dass in ihr ein reiches musikalisches Leben möglich war Drei Jahre später kam auch Friedrich Wieck ins Haus und versöhnte sich mit Tochter und Schwiegersohn.

Ende des Jahres 1849 erhielt Robert ein Angebot, das beider Leben nachhaltig veränderte. Endlich winkte eine Festanstellung für ihn. Er sollte städtischer Musikdirektor in Düsseldorf werden. Die Familie zog also dorthin. Während Robert mit dem Orchester und dem Chor arbeitete, assistierte ihm Clara als Korrepetitorin. Doch so glanzvoll, wie der Beginn in Düsseldorf war, blieb es dort nicht. Robert und mit ihm Clara waren enttäuscht über die Disziplinlosigkeit der Musiker. Auch war Robert kaum in der Lage, sich als Orchester- und Chorleiter durchzusetzen. Er war zu weich. Die Probleme häuften sich, die Unterstützung durch die Musiker und Choristen war dahin. Für Clara war das schwer hinzunehmen; hatte sie ihm doch geraten, die Stelle anzunehmen. Für sie waren die Misserfolge auf Intrigen der Musiker zurückzuführen. Die Düsseldorfer Umstände verschlimmerten sich zusehends. Hinzu kamen drei Umzüge, die das Leben der Familie erschwerten. Clara brachte ihr siebtes Kind zur Welt. Robert fiel von einer Krankheit in die andere. Dennoch fand noch eine glanzvolle Tournee des Ehepaares nach Holland statt.

In der Wintersaison 1853/54 kam es in einer Probe zum Eklat wischen Orchester und Dirigent. Robert wurde gebeten, nur noch eigene Werke aufzuführen und das Amt des Dirigenten für weitere Aufführungen abzugeben. Das förderte vielleicht Roberts zahlreiche Erkrankungen. Sie kamen zu ihrem Höhepunkt am 10. Februar 1854. Schumann litt unter Wahnvorstellungen. Clara und ihre Kinder mussten den Vater und Ehemann Tag und Nacht bewachen; außerdem stand er unter ärztlicher Beobachtung. Jedoch am 27. Februar konnte er seinen Bewachern entkommen und stürzte sich von einer Brücke in den Rhein. Er wurde gerettet und wurde auf eigenen Wunsch hin in die „Anstalt für Behandlung und Pflege von Gemütskranken und Irren“, so hieß sie, in Endenich bei Bonn eingeliefert. Clara war nun endgültig allein für den Haushalt und die Pflege der Kinder zuständig, und mit dem achten ging sie schwanger. [Clara erfuhr erst 1856 von dem Suizidversuch und dem geistigen Zustand ihres Mannes. In der Zeit, die Robert in Endenich verbrachte, war ihr abgeraten worden, ihren Mann zu besuchen. Erst zwei Tage vor seinem Tod Ende Juli 1856 wurde sie zu ihm gelassen.

Schon drei Jahre vor Robert Schumanns Tod trat ein dritter Mann in das Leben von Clara Schumann, noch in geziemendem Abstand zu ihr. Johannes Brahms suchte Schumann auf, um ihm seine Verehrung darzubringen, aber auch, um ihm einige seiner Musikstücke zu zeigen. Robert und Clara waren begeistert. In einem Aufsatz in der von Robert mitbegründeten „Neuen Zeitschrift für Musik“ pries er den jungen Komponisten unter dem Titel „Neue Bahnen“. Nach Robert Schumanns Tod wurde der Kontakt immer enger. Brahms zog sogar in das Haus, in dem Clara wohnte. Er war in die Familie Claras aufgenommen worden. Dass er sich in sie verliebt hatte, obwohl er 14 Jahre älter war als sie, wurde immer offenbarer. Brahms wurde in der Zeit nach dem Tode Robert Schumanns ein unentbehrlicher Begleiter Claras in der Trauer und in den Alltäglichkeiten des Lebens. Er wurde ihr Freund. Die Anrede in seinen Briefen wurde immer vertrauter; das zeugt von der wachsenden Liebe zwischen beiden. Im Sommer 1856 reisten sie in die Schweiz und beschlossen dort die Trennung. Ihre Freundschaft aber hielt das ganze Leben lang. Clara brachte mehrere seiner Klavierwerke zur Uraufführung und beklagte sich, wenn er sie anderen Freunden vor ihr gezeigt hatte. Sie teilte mit ihm ihre Sorgen, ihre Krankheiten, berichtete über ihre Konzerte. Er schickte ihr Kompositionen zur Begutachtung; ihr musikalisches Urteilsvermögen war sehr präzise. Zusammen mit Brahms gab sie die Werke ihres Mannes heraus. Es war eine Freundschaft über weite Ferne, die in der Musikgeschichte nur selten vorkommt. Das nun folgende Intermezzo von Johannes Brahms wurde auf einem Flügel aus der damaligen Zeit gespielt.

Die ältesten drei Kinder hatte Clara Schumann außer Haus gegeben, zwei davon wurden nach Leipzig verschickt, das dritte kam zur Großmutter. Nach Robert Schumanns Tod kamen zwei in ein Internat, zwei lebten bei ihr. Clara zog nach Berlin zu ihrer Mutter, die von ihrem Vater Friedrich Wieck geschieden war. Sie fühlte sich trotz aller Anregungen, die die Stadt für sie bereithielt, dort nicht recht wohl. So siedelte sie 1863 nach Baden-Baden über. Aber weil dieser von seiner Spielleidenschaft nicht lassen konnte, endete die Beziehung sehr schnell. Clara erwies sich nach wie vor als gefeierte Pianistin im In- und Ausland, vor allem in Österreich-Ungarn, Holland, Belgien und England. Dort spielte sie fast alljährlich in den Philharmonischen Konzerten, teils mit dem hochberühmten Geiger Joseph Joachim zusammen. 1873 kehrte sie nach Berlin zurück. Schließlich übernahm sie die Stelle als erste Klavierlehrern in dem neugegründeten Dr. Hochschen Konservatorium in Frankfurt am Main. Joachim Raff hatte um ihre Mitarbeit geworben, Clara und Johannes Brahms hatten ihr zugeraten. Ihre Konzerttätigkeit litt darunter nicht. Es war und blieb ihr ein Bedürfnis, vor Publikum zu spielen. 1888 konnte sie auf eine 60jährige Konzerttätigkeit zurückblicken. [In den letzten Jahren war sie viel krank, ließ sich aber davon in ihrem künstlerischen Weg nicht beeinträchtigen.]1891 stellte sich bei ihr ein qualvolles Kopfleiden ein. [Sie litt unter Störungen des Gehörs, hörte falsche Töne, war teilweise schwerhörig.] Ihr Amt am Dr. Hochschen Konservatorium legte sie 1892 nieder. Sie gab jedoch, unbeugsam, wie sie war, privaten Klavierunterricht und spielte bis fast an ihr Lebensende vor Freunden, mit Vorliebe Stücke von Johannes Brahms. Sie starb 1896. Damit endet ein Leben, das nahezu lückenlos vom Klavierspiel bestimmt war. Ihre Kunst war ihre Religion.

Clara Schumann war die bedeutendste Pianistin des 19. Jahrhunderts. Sie entwickelte schon im jugendlichen Alter ein perlendes Klavierspiel, das ihr die Bewunderung zum Beispiel von Niccolo Paganini einbrachte. Ihr Ton wurde als besonders singend empfunden, ihr Spiel galt als seelenvoll. In ihren jungen Jahren trat sie vor allem mit Stücken der Modekomponisten jener Zeit auf. Später gestaltete sie ihre Programme sehr bewusst mit Kompositionen von Ludwig van Beethoven, Felix Mendelssohn-Bartholdy, Frederic Chopin, Johannes Brahms und Robert Schumann. Manchmal erklang auch Johann Sebastian Bach. Sie begründete damit eine Struktur der öffentlichen Konzerte, die bis heute viele Klavierabende bestimmt. Dabei lag ihr besonders die Werktreue am Herzen und sie erzog ihr Publikum sowie ihre zahlreichen Schüler dazu. Darin und in ihrer Programmgestaltung war sie überraschend modern. Sie führte so ihr begeistertes Publikum an die wahrhaft große Musik ihrer Zeit heran. Als Beethoven-Interpretin genoss sie internationale Reputation, sie sorgte ebenso für die Verbreitung der Werke Chopins. Viele bedeutende Komponisten widmeten Clara Schumann ihre Werke.

Als Komponistin schätzte Clara Schumann sich selbst nicht besonders hoch ein. Zunächst komponierte sie im Stil der damaligen virtuosen Komponisten, wandte sich aber bald davon ab und einem ernsthafteren Komponieren zu. Schon 1835, sie war 16 Jahre alt, äußerte sich Chopin sehr wohlwollend über ihr Talent. Später übte Robert einen großen Einfluss auf sie aus. Ihre Werke sind im Gedächtnis des Publikums kaum mehr präsent. Dabei sind sie durchaus beachtenswert. Ihre melodische Erfindung, der Aufbau ihrer Werke und ihr Klang verdienen eine weitaus größere Verbreitung.

Mit Clara Schumann begegnet uns eine Frau, die sich unbeirrbar in einer Männerwelt behauptete. Im 19. Jahrhundert zeigt sie sich als fortschrittlich denkende und handelnde Person. Sie war zwar hin- und hergerissen zwischen den Ansprüchen ihres Vaters und ihres Mannes. Aber sie setzte sich durch dank ihrer hohen Kunst. Auf dem Weg zur Gleichberechtigung der Frau markiert sie eine wichtige Station.

13.06.2019
Diederich Lüken