Mensch unter Menschen

Gedanken zur Woche
Mensch unter Menschen
Gedanken zur Woche
27.01.2017 - 06:35
26.01.2017
Pfarrer Jost Mazuch

Wenn ein erwachsener Mensch sich vor Anderen hinstellt und dauernd ruft: „Ich, ich, ich! Ich zuerst!“, dann wirkt das rüpelhaft, unreif und abstoßend. Ganz ähnlich empfand ich in der Antrittsrede des neuen amerikanischen Präsidenten die Sätze, auf die alles hinauslief: „America first! Amerika zuerst!“ Doch anders als im normalen zwischenmenschlichen Umgang scheint in der Politik eine solche Haltung Erfolg zu bringen. Nationalismus ist offenbar wieder attraktiv – für viele Wähler und für bestimmte Politiker. Nicht nur in Amerika, sondern auch in vielen europäischen Ländern wächst die Zustimmung zu einfachen, nationalistischen Parolen. Am Wochenende trafen sich in Koblenz demonstrativ die politischen Rechtsaußen aus vielen Ländern. Da traten Vertreter der italienischen Lega Nord auf, der niederländischen Freiheitspartei und des französischen Front National und der deutschen AfD. Sie bejubelten den neuen amerikanischen Präsidenten und waren sich einig in der Forderung nach geschlossenen Grenzen und bei der Ablehnung von Migranten.

 

In anderen Ländern sind Parteien mit nationalistischen Programmen sogar an die Macht gekommen: Polen, Ungarn, die Türkei, Russland. In vielen Sprachen erklingen jetzt solche Parolen: Wir zuerst! Franzosen zuerst! Norditalien zuerst! Zuerst die Türken! Zuerst die Deutschen! Ach ja. Eine Internationale des Nationalismus. Es könnte beinahe zum Lachen reizen, wenn es nicht so gefährlich wäre. Denn gefährlich ist dieses Denken, weil es sich ja immer gegen Menschen richtet, die vermeintlich nicht dazugehören. Nationalismus baut das eigene „Wir“-Gefühl auf, indem er Andere abwertet, ausgrenzt, befeindet. Beim Kongress in Koblenz war das gemeinsame Feindbild der Islam. In Amerika sind es die mexikanischen Einwanderer oder wahlweise auch die Muslime. Da wachsen die Mauern und Zäune, hinter denen die Anderen am besten verschwinden sollen. So etwas bestärkt rassistisches Denken – und Handeln. Auf abwertende Gedanken und Worte folgt oft genug und schon jetzt Gewalt.

 

Deshalb kann ich nationalistische Sprüche nicht als harmlose Spinnereien abtun. Als Christ will ich dem eine ganz andere Sicht entgegensetzen. Denn der christliche Glaube überschreitet nationale Grenzen. Seine grundlegende Erkenntnis ist: der andere Mensch ist wie du Gottes Kind. Unabhängig von seiner Nationalität, Herkunft, Sprache, Aussehen oder Religion – oder was auch immer mir als Unterscheidungsmerkmal wichtig vorkommen mag. „Hier zählt nicht mehr, ob ihr Juden oder Griechen seid, Sklaven oder Freie, Männer oder Frauen – ihr seid alle eins in Christus Jesus“ – so schärft es der Apostel Paulus seinen Glaubensgeschwistern ein (Gal. 3,28). Also nicht einfach: alle Menschen sind gleich. Wir sind sehr verschieden, aber die Unterschiede von Herkunft, Kultur oder Nation dürfen nicht dazu führen, dass Menschen einander schlecht machen, andere ausgrenzen oder gar zu Feinden erklären.

 

Der andere Mensch ist wie du. Wenn in mir drinnen etwas schreit: Ich, ich, ich! Ich zuerst! – dann kann ich diesen egoistischen Impuls einfangen, indem ich mir das vor Augen halte: Der Mensch da mir gegenüber ist ebenso bedürftig wie ich. Das macht mich nicht klein, sondern gibt mir Größe: Mensch unter Menschen zu sein. Und wenn mir jemand einreden will, dass ich wegen meiner Nationalität zuerst käme; dass ich etwas Besseres sei oder größere Ansprüche habe als jemand mit einem anderen Pass – dann gebe ich dieser Versuchung nicht nach. Egoismus hat ein Maß, nämlich den Anderen zu achten wie mich selbst. Das kann ich, weil ich glaube, dass alle Menschen zuerst Gottes Kinder sind, und ich mit ihnen.

 

Was oder wer kommt zuerst? Wenn Sie mit mir darüber sprechen wollen, können Sie mich bis acht Uhr anrufen unter der Telefonnummer 030 325 321 344. Ich wiederhole: 030 325 321 344. Oder diskutieren Sie mit auf Facebook unter „deutschlandradio.evangelisch“.

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26.01.2017
Pfarrer Jost Mazuch