Unzufriedenheit, verkehrsbedingt

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Unzufriedenheit, verkehrsbedingt
Gedanken zur Woche von Pfarrer Thomas Dörken-Kucharz
02.02.2024 - 06:35
29.12.2023
Pfarrer Thomas Dörken-Kucharz
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Die Gedanken zur Woche im DLF.

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Ob die Menschen in Deutschland zu Fuß oder mit dem Rad, mit der Bahn, dem Bus oder dem Auto unterwegs sind, eins ist allen gemeinsam: Sie sind alle unzufriedener. Unzufriedener als vor der Pandemie. Der ADAC hat diese Woche seine neueste Mobilitäts-Studie veröffentlicht. Er hat 2023 Umfragen zur Mobilitätszufriedenheit in 15 deutschen Städten gemacht und die Ergebnisse mit seiner Umfrage von 2017 verglichen. Tendenz eindeutig negativ.

Zwar sind die Menschen in Dresden und Leipzig besser unterwegs als in Köln und Duisburg, aber insgesamt sind sie alle schlechter unterwegs. Und alle haben neben vielen unterschiedlichen Negativposten einen gemeinsamen Feind: den E-Scooter. Egal ob kreuz- und quer-geparkt oder rücksichtslos und regelbefreit gefahren: die Dinger nerven alle. Nur die nicht, die damit fahren.

Als jemand, der viel unterwegs ist, kann ich in diese Klagesymphonie oder Kakophonie voll einstimmen und erfahrungsgesättigt bei jedem Verkehrsmittel lautstark mitschimpfen. Und von den Streiks haben wir noch gar nicht gesprochen! Ich gebe es zu, Geduld gehört nicht zu meinen Stärken und über Missstände kann ich mich öfters echauffieren. Darauf bin ich nicht stolz, aber wenn so vieles schief läuft, wird man sich ja wohl noch aufregen dürfen!

Ja und nein. Ja, es ist nicht gut, allen Ärger runterzuschlucken und in sich hineinzufressen. Und nein, es hilft nichts, macht Situationen meistens noch schlimmer und nimmt einem die Möglichkeit, damit elegant umzugehen und auch selbst unbeschadet hindurchzukommen. Und für andere ist man dann auch eher eine Belastung als ein Gewinn.

Gegen die Verkehrsmisere in den Städten helfen zwei Dinge: die Beseitigung der Ursachen, also ein Umdenken in der Verkehrsplanung, und echte Rücksichtnahme. In meiner Stadt Frankfurt am Main steht jetzt oft auf den Radwegen: „Rücksicht macht Wege breit!“ Stimmt! Auch wenn ich mir trotzdem bessere Radwege wünschen darf und da in Deutschland noch sehr viel Luft nach oben ist.

Gegen die Unzufriedenheit und das Aufregen helfen mir selbst zwei Dinge: Erstens ein gedanklicher Perspektivwechsel. Wenn es mir gelingt zu verstehen, dass ich selbst Teil des Problems bin, und wenn ich es schaffe, die Sicht der anderen Verkehrsteilnehmenden einzunehmen, ist viel gewonnen. In der Bergpredigt sagt Jesus drastisch: „Was siehst du den Splitter im Auge des anderen, den Balken im eigenen Auge siehst du nicht!“ (Matthäus 7,3)

Wenn ich im Nachhinein Situationen in Ruhe betrachte, stelle ich fest, Jesus hat recht. In der Situation selber gelingen mir Umdenken und Perspektivwechsel oft nicht so schnell. Dafür habe ich ein Zauberwort, das mir manchmal hilft. Mein Zauberwort heißt: „Xerxes“.

Xerxes war vor zweieinhalbtausend Jahren ein mächtiger Perserkönig, der es den Griechen so richtig zeigen wollte. Und so war er zu ihnen mit einem riesigen Heer von Asien nach Europa unterwegs. Dabei musste er notgedrungen durchs verkehrstechnische Nadelöhr: er musste den Hellespont überwinden. Der Hellespont ist – abgesehen vom Bosporus - die engste Stelle zwischen Asien und Europa. Heute nennt man diese Stelle die Dardanellen. Xerxes ließ für sein Heer aus sechzig- oder hunderttausend Mann eine Brücke über den Hellespont bauen. Sie war über einen Kilometer lang.

Ein Sturm zerstörte aber die Brücke über Nacht und Xerxes konnte nicht weiterziehen. Daraufhin echauffierte er sich so sehr, dass er das Meer auspeitschen ließ, weil es sich ihm widersetzt hatte. Der griechische Historiker Herodot erzählt diese Geschichte von den dreihundert Peitschenhieben auf die Wasseroberfläche. (Herodot, Historien VII, 33-35) Ob sie stimmt oder nicht, sei dahingestellt: Mir hilft sie! Xerxes gerät in einen Riesenstau, kann seine Ziele nicht rechtzeitig erreichen und greift zu einer völlig unsinnigen Maßnahme, die ihn kein Stück weiterbringt, sondern ihn vollkommen lächerlich macht.

Mein Zauberwort löst keine notorischen Verkehrsprobleme und ist auch kein bleibender Schutzmantel der Sanftmut. Aber es hilft mir, in einer Situation spontan Distanz zu gewinnen und mich und den schwierigen Moment zu entschärfen. Manchmal sogar zu lächeln. Xerxes.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

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29.12.2023
Pfarrer Thomas Dörken-Kucharz