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Eine Frage des Vertrauens
Wie gewinnt man in der Demokratie Vertrauen zurück?
20.12.2024 06:35

Bundeskanzler Olaf Scholz hat die Vertrauensfrage im Bundestag verloren. Eine biblische Geschichte zeigt, was dem Vertrauen schadet und was Vertrauen rettet. 

 

Sendung zum Nachlesen:

Im Matthäusevangelium steht eine Geschichte vom Vertrauen: Jesus geht nachts über das Wasser des Sees Genezareth. Seine Jünger sitzen in einem Boot, sehen ihn und halten ihn für ein Gespenst. Er aber sagt: "Fürchtet euch nicht!" Da will es ihm Petrus gleichtun. Er vertraut Jesus völlig. Also steigt er aus dem Boot und geht übers Wasser auf Jesus zu. Und dann heißt es: Aber auf einmal merkte er, wie stark der Wind war. Da bekam er Angst. Er begann zu sinken und schrie: "Herr, rette mich!" Sofort streckte Jesus ihm die Hand entgegen und hielt ihn fest. Er sagte zu Petrus: "Du hast zu wenig Vertrauen. Warum hast du gezweifelt?" (Matthäus 14, 28-32)

Klar hatte Petrus zu wenig Vertrauen, wenn man der Geschichte Glauben schenkt. Aber der wichtigste Punkt zum Vertrauen ist ein anderer. Der Vertrauensbeweis liegt darin, dass Jesus rechtzeitig die Hand von Petrus ergreift und ihn rettet. Jesus ist in der Not zur Stelle. Man stelle sich nur kurz vor, Jesus wäre weiter übers Wasser gelaufen, Petrus aber ertrunken. Jesus hätte das Vertrauen, das so viele ihm schenken, und seine Mission komplett verspielt - bei allen im Boot und auch bei allen, die danach davon gehört hätten.

Am Anfang dieser Woche hat der Bundestag über die Vertrauensfrage von Bundeskanzler Olaf Scholz entschieden. Neben der Abstimmung selbst ging es um die Fragen: Wer hat wodurch Vertrauen verspielt und verloren? Einzelne Politiker, die Parteien, die Demokratie insgesamt. Und: Wie gewinnt man das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler zurück?

Wenn ich diese aktuellen Fragen neben die alte biblische Erzählung halte, werden mir ein paar Dinge klar:

Politisch Handelnde, die den Eindruck erwecken, sie könnten übers Wasser laufen und so alle Probleme hinter sich lassen, verdienen kein Vertrauen. Von Politik erwarte ich gerade nicht, dass sie Wunder vollbringt, sondern

  • dass sie den Kurs setzt und das Boot steuern kann,
  • dass sie weiß oder erkundet, wie und wo man ertragreich fischt, so dass alle satt werden,
  • dass sie die Mannschaft zusammenhält und außerdem alle das Schwimmen lehrt. Politik muss für Notsituationen Rettungsringe bereithalten und für Rettungsboote sorgen, damit niemand verloren geht - auch die nicht, die sich zu weit hinauswagen, aus anderen Gründen über Bord gehen oder orientierungslos auf dem Wasser treiben.

Welche Partei dafür am besten geeignet ist und Kapitän und Steuerfrau stellen soll, das prüfen und darüber entscheiden wir, die Wählerinnen und Wähler. In der Demokratie steckt dieser Vertrauensvorschuss an uns, an das Volk. "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus", steht im Grundgesetz. Wir wählen, und das ist gut so.

Dass es jetzt Neuwahlen geben wird, ist Ausdruck der Demokratie. Was ihr schadet, ist einerseits ständiges Misstrauen und andererseits blindes Vertrauen. Deswegen braucht Vertrauen Sicherungen. Die Vertrauensfrage ist eine solche Sicherung der Demokratie.

Ab jetzt werben die Parteien und ihre Kandidaten um unser Vertrauen. Denn egal, wo man sein Kreuz in der Wahlkabine macht, eine Wahl ist immer ein Vertrauensvorschuss. Wird es den Politikerinnen und Politikern gelingen, zerstörtes Vertrauen wiederaufzubauen?

Um nochmal die biblische Bootsgeschichte zu bemühen: Für mich ist wichtig, dass Politikerinnen und Politiker sich nicht wie Heilsbringer aufführen, die übers Wasser laufen können. Sie sollen überzeugen und deutlich machen: Alle, die im Boot der Demokratie sitzen, müssen letztlich zusammenarbeiten, um die Probleme anzupacken. Es geht im Wahlkampf um zukünftige Rollenverteilung. Da darf und soll man streiten. Aber es geht nicht darum, das Boot kentern zu lassen.

Mir hilft mein Gottvertrauen, gelassener mit menschlichen Schwächen und Fehlern umzugehen, mit denen der Politik, auch mit meinen eigenen. Das Gottvertrauen kommt in der Geschichte nach dem ersten Schrecken. Zuerst halten die Jünger Jesus für ein Gespenst. Jesus beruhigt sie: "Fürchtet euch nicht!" Daraufhin fasst Petrus Vertrauen. Der Mut kann einen schon mal zwischendurch verlassen. Man kann mal einsinken. Aber es gibt die Hand, die herauszieht. Wir können vertrauen.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

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