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Sendung zum Nachlesen:
Zuerst wollte ich sie mir gar nicht anschauen. Dann aber haben mich die fantastischen Bilder und Inszenierungen bei der Eröffnung der Olympischen Spiele in Paris gefesselt und ich bin bis zum Ende dabeigeblieben. Was für eine großartige Show! Angefangen bei der Kulisse über die vielen Bezüge zur französischen und olympischen Geschichte. Das macht unseren französischen Nachbarn so schnell keiner nach!
In das Hochgefühl mischte sich dann ein Störgeräusch, das in dieser Woche anhielt. Die Sozialen Medien quollen über in der Diskussion einer Szene: An einem Laufsteg oder einer großen Tafel steht ein gutes Dutzend sehr unterschiedlicher Menschen. Vor ihnen sitzt ein Mann in einem Kranz aus Blumen und Früchten. Der Mann mit gelbem Vollbart trägt Girlanden mit Früchten auf dem Kopf und um den blau bemalten Körper. Die Szene spielt auf ein Festmahl im Olymp und auf den Gott Dionysos an. Aber allein die Konstellation "Festtafel und ein Mann in der Mitte" ließ einige fälschlicherweise glauben, diese Szene verhöhne das Letzte Abendmahl Jesu und stelle das berühmte Gemälde von Leonardo da Vinci nach. In rechtsextremen Kreisen, bei der AfD, bei Donald Trump und Viktor Orbán war und ist gar von einer Schande die Rede und von Verletzung religiöser Gefühle. Sie haben die Szene falsch verstanden, meines Erachtens absichtlich falsch verstanden. Schon ein wenig Recherche hätte geholfen. (1)
Der griechische Gott Dionysos ist der Gott des Weines und der Feste, und gilt als Erfinder des Theaters. Wer also hätte zu der rauschhaften Eröffnung der Olympischen Spiele mit Tanz, Gesang und Theater besser gepasst als er? Ob die Szene mit Dionysos zu den besten des Abends zählte, darüber kann man streiten. Aber eine Schande war sie ganz gewiss nicht und schon gar keine Blasphemie.
Heute spielt Dionysos kaum noch eine Rolle. Er gibt höchstens noch Weinseligkeit und Ekstase seinen Namen. Zur Zeit Jesu war das ganz anders. Da gehörte Dionysos zu den beliebtesten der griechisch-römischen Götter. Er wurde ernst genommen und verehrt, auch in Galiläa, wo Jesus wirkte. Viele Städte um Galiläa sahen diesen Weingott als ihren Gründungsvater.
Über Dionysos sagte der römische Dichter Ovid: Kein Gott sei gegenwärtiger, keiner menschlicher als er. Er schuf Kultur. Dionysos war vital und prächtig. Man feierte ihn.
Das Bild von Dionysos ist vielschichtig. Es hat mit Tod und Leben zu tun. Offenbar glaubten seine Anhänger an das Weiterleben nach dem Tod. Auch wenn der Gott selbst nie betrunken abgebildet wird, gehörten zu seinem Kult Rausch und Raserei.
Jesus hat ebenfalls gern gefeiert. Er war sogar als Fresser und Weinsäufer verschrien, berichten die Evangelien. Sie erzählen auch, wie Jesus auf einer Hochzeit in dem galiläischen Dorf Kana Wasser in Wein verwandelt. Ein Wunder, das ähnlich auch von Dionysos berichtet wird.
Etwas überspitzt kann man sagen: Die Erzählung der Hochzeit zu Kana will deutlich machen: Jesus der bessere Dionysos. Er ist ebenso nah bei den Menschen, aber bei ihm ist wirklich die Auferstehung und das Leben, eine Hoffnung, die für Menschen im Gefolge des Dionysos eher vage blieb. Um es olympisch zu kleiden: Bei der Auferstehung geht es nicht um "höher, schneller, weiter". Da gilt schlicht: Dabei sein ist alles. Und das wird ein Fest! Dafür steht der Glaube an Jesus.
In der Szene der-olympischen Eröffnungsfeier mit Dionysos beim Festmahl steckt also bei genauerem Hinsehen viel Religionsgeschichte! Hut ab, Paris! Chapeau!
Es gilt das gesprochene Wort.
Literaturangaben:
- "Bereits im Programm war zu lesen, was hier tatsächlich als Inspiration diente: "Götter des Olymps". Diese und nur diese Assoziation ergibt im Zusammenhang mit Olympia Sinn. Spätestens als Chansonnier Philippe Katerine als blauer Dionysos verkleidet vor dem Ensemble liegend sein "Tous Nu" anstimmt, eine ironische Hymne an die Nacktheit, wäre der richtige Zeitpunkt gewesen, sich wieder abzuregen." Stern online: https://www.stern.de/panorama/olympia-eroeffnung-mit-drag-queens--nein--es-ist-nicht-das-letzte-abendmahl--34925758.html; https://www.monopol-magazin.de/paris-olympia-eroeffnung-kontroverse-blasphemie-christentum-das-war-niemals-ein-letztes-abendmahl
- Literaturtipps: Dionysos – Verwandlung und Ekstase. Hrsg. Von Renate Schlesier und Agnes Schwarzmaier, Berlin 2008; Peter Wick: Jesus gegen Dionysos? Ein Beitrag zur Kontextualisierung des Johannesevangeliums, Vol 85 (2004) Biblical Studies on the Web, nachzulesen: https://www.bsw.org/biblica/vol-85-2004/jesus-gegen-dionysos-ein-beitrag-zur-kontextualisierung-des-johannesevangeliums/164/ ; Otto Böcher: Der Wein und die Bibel, Grünstadt 1989