Was ist Wahrheit?

Gedanken zur Woche

Gemeinfrei via unsplash.com/Amanda Dalbjörn

Was ist Wahrheit?
Gedanken zur Woche mit Pfarrer Stephan Krebs
29.05.2020 - 06:35
03.01.2020
Stephan Krebs
Über die Sendung

Die Wahrheit aussuchen – bei Trump und Twitter? Bei Pilatus und Politikern? Bei Jesus und Journalisten? Die Gedanken zur Woche im DLF von Pfarrer Stephan Krebs.

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„Was ist Wahrheit?“ Das fragt sich Pilatus, der starke Mann von Jerusalem. Vermutlich schaut er dabei versonnen aus dem Fenster und überlegt, was er darüber bei Aristoteles und anderen Philosophen gelesen hat. Doch als Politiker hat er zu handeln. Vor ihm steht ein Gefangener, den er zum Tod verurteilen soll. Und warum? Weil dieser Mann - Jesus von Nazareth - behauptet: „Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeuge.“

 

Was ist Wahrheit? Darum ging es auch in dieser Woche. Sogar doppelt. Einmal in einer Umfrage des Norddeutschen Rundfunks. Ihr zufolge glaubt jeder fünfte in Deutschland, dass Politiker und Medien in Sachen Corona nicht die Wahrheit sagen (1). Zum zweiten hat Twitter zwei Tweets des US-Präsidenten Donald Trump mit dem sogenannten Faktencheck gekennzeichnet. Das macht Twitter erst seit kurzem, um gegen Lügen vorzugehen (2). Und schon ist klar: der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika schreibt Unwahrheiten.

 

Leicht kann man herziehen über ihn und andere, die sich ihre Wahrheiten selbst aussuchen. Doch so leicht will ich es mir nicht machen. Lieber ein bisschen sortieren, denn es gibt tatsächlich verschiedene Wahrheiten.

 

Zum Beispiel in der Bibel. Psalm 43 bittet Gott: „Sende dein Licht und deine Wahrheit, dass sie mich leiten zu deinem heiligen Berg und zu deiner Wohnung.“ Gott hat also eine eigene Wahrheit. Die Bibel meint damit Gottes Verlässlichkeit und Güte, sie geben dem Leben einen klaren Rahmen und ein Ziel. Diese Wahrheit lässt sich nicht per Faktencheck nachweisen. Sie erschließt sich nur denen, die an Gott glauben. Insofern haben Gläubige ihre eigene Wahrheit. Wie Trump?

 

In Sachen Wahrheit hat mich ein Videospot schlauer gemacht. Er zeigt eine ältere Dame. Sie ist gepflegt und gut gekleidet. Ihre Handtasche hält sie fest unter den Arm geklemmt, während sie alleine auf einem Bürgersteig geht. Plötzlich bleibt sie wie angewurzelt stehen, ihr Körper krümmt sich, ihr Gesicht ist schreckverzerrt. Man ist verwundert und überlegt: „Vielleicht ein Anfall!“ Der Videoclip stoppt und geht zurück zum Anfang.

Wieder geht die Frau die Straße entlang. Doch dieses Mal zeigt der Clip mehr. Man sieht auch eine Gruppe junger Männer, alle in Springerstiefeln und mit rasierten Köpfen. Einer dieser Männer rennt plötzlich los – direkt auf die Frau zu, die daraufhin zusammenzuckt. Man denkt: „Ah, sie hat Angst vor dem Mann, der ihr wahrscheinlich die Handtasche entreißen will.“ Wieder Schnitt und zurück zum Anfang.

Nun zeigt der Videoclip noch mehr: Die Frau, den jungen Mann - und einen Baukran, der verliert gerade direkt über der Frau seine schwere Ladung. Der junge Mann rennt auf die Frau zu und reißt sie im letzten Moment zur Seite. Man erkennt: „Der Mann hat die Frau gerettet.“ Man ist beschämt, voreilige Schlüsse gezogen zu haben.

 

Dieser Clip zeigt in der ersten, engen Perspektive, was Donald Trump und manche andere für die Wahrheit halten: Ihre persönliche Sicht auf die Welt, die für alle gelten soll. Das ist zu klein gedacht.

In den weiteren Bildern zeigt der Clip die Frau und ihr Umfeld, die Männer und den Baukran, also Fakten und Hintergründe. Wahrheit im Sinne der Aufklärung. Die braucht es in einer offenen und demokratischen Gesellschaft. Das ist auch die Aufgabe seriöser Medien. Gute JournalistInnen checken die Fakten, stellen sie korrekt dar und ordnen sie in das größere Bild ein, so dass man es versteht - Kein Wunder also, dass eine Zeitung mit diesem Videoclip für sich wirbt.

Der Spot zeigt aber noch mehr: Nämlich die Haltung des jungen Mannes. Er ist aufmerksam für seine Umwelt. Er sieht die Gefahr. Er übernimmt Verantwortung für die Frau. Er rettet ihr Leben – und riskiert dafür sogar sein eigenes. Auf dieser Ebene ist die Wahrheit zu finden, die Jesus bezeugt: die Haltung des Glaubens. In ihr kann man sich geborgen fühlen.

 

Was ist Ihre Wahrheit? Diskutieren Sie mit. Auf Facebook, unter ‚Evangelisch im Deutschlandradio‘.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Bibelnachweis:

Johannes 18,37f

Psalm 43,3

 

(1) https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/zapp/Corona-Mythen-Wie-Medien-sie-verbreiten,coronamythen100.html

(2) https://twitter.com/correctiv_fakt

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03.01.2020
Stephan Krebs