Wo ist Gott im Erdbeben?

I.S.A.R. Germany/Paul-Philipp Br/Paul-Philipp Braun

Wo ist Gott im Erdbeben?
Gedanken zur Woche von Pfarrerin Heidrun Dörken
17.02.2023 - 06:35
27.01.2023
Pfarrerin Heidrun Dörken
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Die Gedanken zur Woche im DLF.

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Das Erdbeben in der Türkei und Syrien war schrecklich: Viele zehntausende Menschen wurden seit letzter Woche tot geborgen und werden es noch. Dazu die Verletzten und Obdachlosen. Jede und jeder sind Liebste, Sohn, Enkelin, Nachbarin oder Verwandter, auch von vielen in Deutschland.

So gewaltig das Erdbeben auch war, die meisten sind nicht durch das Beben selbst gestorben, sondern durch einstürzende menschliche Bauten. Das macht den Schrecken sogar noch größer. Zur Trauer kommt die Wut über ungenügende Katastrophenvorsorge und Pfusch am Bau.

Erdbeben sind furchtbar, aber nichts Übernatürliches. Zwar haben Menschen sie zu allen Zeiten mit dämonischen oder himmlischen Mächten verbunden. Aber sie gehören zur Natur. Das ist eine Tatsache. Für Menschen, die die Welt nichtreligiös verstehen. Genauso wie für die, die sie als Schöpfung Gottes sehen.

Erdbeben gehören zur Natur unseres Himmelskörpers Erde. Die Erde besteht aus heißem, flüssigen Metall und Stein und ist überzogen mit einer erkalteten Kruste. Diese Erdkruste ist im Vergleich zur Erde dünn wie eine Apfelschale. Sie besteht aus tektonischen Platten, sie hängen nur lose zusammen und können sich verschieben. Letzte Woche haben sich die Spannungen von gleich drei Platten in schrecklichen Beben entladen. Manche Geophysiker hatten das sogar erwartet.(1) Sie forschen, wie Erdbeben entstehen. Leider können sie den Zeitpunkt nach wie vor nicht präzise voraussagen.

Die Menschen, die in der Bibel ihre Lebenserfahrungen und ihren Glauben überlieferten, kannten die wissenschaftliche Seismologie noch nicht. Aber Erdbeben haben sie viele erlebt. Die biblischen Schriften entstanden im besonders gefährdeten Mittelmeerraum. So ist das jetzt stark betroffene türkische Antakya das biblische Antiochia. Es war neben Jerusalem eine Hauptstadt des Urchristentums.

Im Alten und Neuen Testament wird die extreme Erfahrung religiös gedeutet, dass der Boden unter den Füßen wankt. Auch als seelische Erschütterung durch Gott. So heißt es oft: Wo Gott erscheint, da beben Mensch und Natur. Darüber hinaus wurden Erdbeben hier und in anderen antiken Kulturen gedeutet als Zeichen für Unheil, als Gottes Zorn und Gericht. (2)

Die Menschen fragten sich schon damals, was ein Erdbeben von Gott sagt oder von Gott zeigt: Macht – Gericht –  Strafe? Im Alten Testament finde ich noch eine ganz andere Deutung, in der Geschichte des Propheten Elia (3). Wie andere erwartet Elia, dass Gott mächtig und in gewaltigen Naturphänomenen erscheint. Doch er wird überrascht: Gott ist nicht im Sturm. Nicht im Feuer. Und Gott ist nicht im Erdbeben. Elia erfährt Gott ganz anders als durch Katastrophen. Zum Schluss heißt es: Elia erkannte Gott in einem sanften Hauch und Flüstern.

Das ist eine Spur: Gott als leise, aber vernehmbare Ermutigung inmitten aller Bedrängnis. So deute ich, was ich zurzeit von vielen Muslimen, von Christen und Juden höre und lese. Von Menschen, die Anteil nehmen, bei ihren Nachbarn direkt oder in den Sozialen Medien. Oft fällt dabei der Name Allahs und der Name Gottes. Als Hoffnung, wenn alles wankt. Als Adresse für stumme Trauer, für lauten Zorn. Denn das Vertrauen auf Gott macht nicht blind. Wer auf Gott vertraut, stellt Fragen nach Verantwortung und Gerechtigkeit, nach Vernunft und Vorsorge.

Ich verbinde Gott außerdem mit der großen Menschlichkeit dieser Tage über Grenzen hinweg. Als Kraft und Energie der Helferinnen dort und von Rettern aus vielen Ländern, bei Spendern und solchen, die Obdachlose aufnehmen.

Die Erschütterung des Bebens bleibt. Sein Ausmaß zeigt: Es wird einen langen Atem brauchen und viele Menschen guten Willens, für Monate und Jahre denen beizustehen, die es brauchen. Ich bin überzeugt: Dabei helfen wird, wer die Natur der Erde ernst nimmt und, so gut es geht, im Einklang mit ihr lebt. Helfen wird auch die Zuversicht von Glaubenden, die beten und handeln.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

(1) Die Arabische, Anatolische und Afrikanische Platte, siehe: „Verheerender Tripelpunkt. Welche Kräfte speisten die Katastrophe?“ FAZ 15.2.2023, Natur und Wissenschaft, N1

(2) Hier sind die Erdbeben zu biblischer Zeit aufgeführt und viele Infos über Erdbeben in der Bibel: https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/erdbeben-at/ch/32d1d80f48309626099969a5d2eac9e1/#h1

(3) 1 Könige 19, 11 ff.

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27.01.2023
Pfarrerin Heidrun Dörken