Alles hat seine Zeit

Morgenandacht
Alles hat seine Zeit
18.09.2017 - 06:35
13.09.2017
Pfarrer Titus Reinmuth

Das Wochenende ist vorbei, es ist Montag, es geht wieder los: Die einen müssen die Kinder auf den Weg bringen, einkaufen, zu Hause klar Schiff machen; andere fahren ins Büro, in die Praxis oder in die Werkstatt; wieder andere müssen das alles alleine schaffen, bloß hintereinander; und sogar viele Ruheständler brüsten sich damit, eigentlich seien sie ja im Unruhestand. Kurz: Irgendwas ist immer. Wer heute einfach so Zeit hat, macht sich verdächtig. Die Erfolgreichen sind im Stress, sie haben keine Zeit, sie haben Termine.

 

Da hat sich tatsächlich etwas verändert in der Gesellschaft. Die meisten sind heute mobil und vernetzt. Ich kann im Café sitzen, mein Notebook aufklappen und arbeiten; schon mal in den Biergarten fahren und übers Handy letzte Dinge im Büro klären. Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen. Früher hatte man einfach Feierabend und war natürlich erst am nächsten Tag wieder erreichbar. Der ganze Lebensrhythmus war ein anderer. Die Dinge geschahen eines nach dem anderen und nicht alle parallel und gleichzeitig.

 

„Alles hat seine Zeit“, heißt es beim Prediger Salomo in der Bibel. Der Weisheitslehrer führt das ganze Leben vor Augen: reden und schweigen, lachen und weinen, aufbauen und abbrechen, pflanzen und ausreißen,... all das hat seine je eigene Zeit. Es gibt nicht immer etwas zu lachen, manches ist einfach beklagenswert. Nicht immer ist die Zeit, etwas aufzubauen und auf den Weg zu bringen, manchmal muss man auch die Zelte abbrechen oder etwas loslassen. Alles hat seine Zeit. Vielleicht mahnt der Prediger auch: Achtet darauf, dass ihr den Dingen ihre Zeit gebt! Konzentriert euch auf die eine Aufgabe, die jetzt dran ist! Macht nicht alles gleichzeitig, sondern tut das Wesentliche!

 

Auf dem Anrufbeantworter eines Kollegen hört man: „Guten Tag, Sie sind verbunden mit dem Anrufbeantworter von... Ich bin gerade unterwegs oder im Gespräch oder arbeite an einer Sache, bei der ich nicht gestört werden will. Aber ich rufe gerne zurück.“ Das beeindruckt mich. Er setzt mit diesem kleinen Text ein Zeichen gegen die Gestressten, die erwarten, dass man immer erreichbar ist und sofort antwortet. Der Kollege hat ja Recht: Die meisten Dinge erfordern unsere volle Aufmerksamkeit.

 

Zeitforscher sagen, dass wir unsere Zeit als sinnvolle Zeit erleben, wenn wir das Gefühl haben: Ich bewirke etwas oder ich erlebe etwas. Das mit dem Erleben ist einfach: Wenn ich in meinem Alltag immer wieder mal etwas Neues mache, wenn Abwechslung herrscht, dann kommt mir die gelebte Zeit lang und erfüllt vor. Dazu muss man keine Weltreise machen oder jedes zweite Wochenende auf Städtetour gehen. Aber vielleicht mal eine neue Sportart ausprobieren, sich am nächsten Wochenende im Wald verlaufen ohne Karte oder bei Nachbarn klingeln, die man schon immer mal kennenlernen wollte. Etwas erleben, das geht immer. Wenn man dann abends auf den Tag schaut: Das war heute gut, dafür bin ich dankbar – dann stellt sich das Gefühl ein: Das war erfüllte Zeit.

 

Etwas bewirken ist schon schwieriger. Gut, wenn man im Beruf etwas gestalten und verändern kann. Oder wenn Menschen Kinder haben und Erziehung gelingt. Manche wollen heute noch mehr und fragen ganz anders: Was ist meine Aufgabe? Sie engagieren sich ehrenamtlich für das Gemeinwohl. Bei der Tafel, in der Flüchtlingshilfe, in einer politischen Partei oder im Hospizverein. Unsere Gesellschaft braucht Menschen, die Verantwortung übernehmen und etwas bewirken wollen. Die sich Zeit nehmen für das Wesentliche.

 

„Alles hat seine Zeit“ – bei seinen Beobachtungen spart der Prediger Salomos die schweren Zeiten nicht aus: töten und heilen hat seine Zeit, lieben und hassen, Streit und Friede. Manche finden, die Zeiten heute seien ernster als früher geworden. Die Nachrichten eine einzige Landkarte nur noch mit Krisenherden. Dazu Gruppen im eigenen Land, die Hass verbreiten und die Gesellschaft spalten. Umso wichtiger ist für mich die Frage nach meiner Zeit: Was ist heute meine Verantwortung, wofür will ich mich einsetzen, damit die Gesellschaft zusammenhält? Etwas kann ich immer bewirken – das zu erleben, das ist erfüllte Zeit.

13.09.2017
Pfarrer Titus Reinmuth