Barmherzigkeit für die Bösen

Morgenandacht
Barmherzigkeit für die Bösen
29.10.2018 - 06:35
13.09.2018
Heidrun Dörken
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Was soll man mit einer Stadt machen, wo Bosheit regiert, wo Recht und Gesetz mit Füßen getreten werden? Eine kleine Erzählung der Bibel versucht eine Antwort, das Buch des Propheten Jona. Bei Jona denkt man zuerst an den Riesen-Fisch, der ihn verschluckt und wieder ausspeit. Damit sollte Jona seinem göttlichen Auftrag nachkommen, vor dem er hatte fliehen wollen. Die märchenhafte Erzählung fasziniert Kinder und Erwachsene. Obwohl ihre Botschaft unbequem ist. Denn sie handelt von Gottes Geduld mit den Bösen. Mir passt das nicht auf Anhieb. Deshalb ist es ja gerade spannend.

 

Die böse Stadt heißt Ninive. Für biblische Erzähler ist sie ein Symbol für jede Macht, die unterdrückt, die Reiche begünstigt, Verbrechen nicht ahndet und sogar selbst verübt. Siebenhundert vor Christus war Ninive eine Mega-Metropole am Fluss Tigris. Heute liegen Ninives archäologische Überreste im Norden des Irak, innerhalb der Stadt Mossul. Terroristen des IS haben vor drei Jahren Ninives antike Bauwerke und Statuen mit Bulldozern und Pressluftbohrern schwer beschädigt. Kleine Fundstücke haben sie geplündert, um damit den Terror zu finanzieren. Letztes Jahr haben irakische Streitkräfte das Gebiet zurückerobert. Die Terroristen hatten auch die Stätte gesprengt, die als Grab des Jona verehrt wurde, zusammen mit der zugehörigen Moschee. Solche Kriegsverbrechen wollen die Menschen von ihrer Kultur und Religion abschneiden. Was die Terroristen nicht vernichten konnten, ist die Botschaft des Jona, der im Judentum, Christentum und Islam als Prophet gilt.

 

In der biblischen Erzählung sollte Jona die bösartigen Leute von Ninive zur Umkehr bringen. Gott gab ihm den Auftrag: „Geh in die große Stadt und predige gegen sie, denn ich sehe ihre Bosheit.“ Wie gesagt, Jona hatte dazu keine Lust, floh auf einem Schiff in die entgegengesetzte Richtung, wurde auf stürmischer See ins Meer geworfen, von einem Fisch verschluckt und wieder ausgespuckt und ging dann schließlich doch nach Ninive. Dort stellte er ein Ultimatum: „Wenn ihr nicht innerhalb von vierzig Tagen umkehrt, werdet ihr vernichtet.“

 

Und, oh Wunder, diese Botschaft stieß auf offene Ohren. Die Einwohner von Ninive gelobten Besserung – ob aus Angst vor dem drohenden Unheil oder aus wirklicher Einsicht, wissen wir nicht. Jedenfalls zeigten sie guten Willen, sich zu anders zu verhalten und gingen in Sack und Asche. Und Gott, so heißt es, reute das Übel, das er angekündigt hatte, und er tat's nicht.

 

Ende gut, alles gut, könnte man meinen. Wäre da nicht noch Jona. Er war enttäuscht. Er hatte sich außerhalb der Stadt einen Beobachtungsposten gebaut, um live dabei zu sein, wenn Ninive im Feuer versinkt. Und dann war Jona wütend auf Gott, der die Sünder verschonte und am Leben ließ. Er glaubte nicht daran, dass sich Menschen ändern können. Er hatte keine Geduld. Er wollte Strafe und einen Sieg, der die Stadt in Schutt und Asche legte. Und was sagt Gott? „Sollte es mir nicht leid sein um Ninive, die große Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend Menschen leben – und außerdem so viel Vieh?“

 

Es ist nicht überliefert, was Jona über dieses Gotteswort dachte. Schwer verdaulich ist es bis heute. Gottes Barmherzigkeit für die, die Schlimmes, die Schlimmstes getan haben? Das ist schwer zu akzeptieren. Zwar schließt Barmherzigkeit Gerechtigkeit nicht aus. Natürlich müssen Kriegsverbrechen und Unrecht geahndet und vor Gerichte gestellt werden, je mehr, desto besser. Es bleibt jedoch die unbequeme Botschaft des Jona-Buchs: Gott hofft darauf, dass Menschen sich ändern, weil anders das Böse auf lange Sicht nicht zu besiegen ist. Und Gott mutet es den Menschen zu, mit ihm darauf zu hoffen und geduldig dafür zu arbeiten.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

13.09.2018
Heidrun Dörken