Bis heute wird an sie gedacht

Morgenandacht
Bis heute wird an sie gedacht
Die Frau, die erkannt hat, worauf es ankommt
23.02.2016 - 06:35
27.12.2015
Pfarrerin Heidrun Dörken

Es gibt Momente, da wird etwas davon sichtbar, was im Leben zählt. So einen Moment hatte niemand bei dem Anlass erwartet, von dem das Markusevangelium erzählt[i]. Es war ein Arbeitsessen. Es ging um brisante soziale, politische und auch religiöse Probleme. Davon gab es mehr als genug in der römischen Provinz Judäa. Viele hatten nicht genug zum Leben, keine politische Selbstbestimmung. Eine der Reaktionen war schon damals Terrorismus. Einigte glaubten, nur so würde man die römischen Besatzer los. Die meisten aber blieben friedlich, auch wenn sie sich danach sehnten, dass sich etwas ändert.

 

Der Ort für das Arbeitsessen war gut gewählt, am Rand der Hauptstadt Jerusalem im Grünen. Es gab einen Ehrengast. Er galt als der kommende Mann. Zwar einer aus der Provinz, aber mit Charisma. Ein guter Redner, dem man spektakuläre Taten nachsagte. Jesus von Nazareth. Er machte auf dem Weg nach Jerusalem Station im Vorort Bethanien. Die Teilnehmer des Meetings waren sich einig: So einer wie er könnte es vielleicht schaffen, die drängenden politischen und sozialen Probleme zu lösen und sagen, wo es langgeht.

 

Ganz unvermutet stört jemand. Eine Frau kommt herein und geht wortlos auf Jesus zu. Sie zerbricht ein Glasgefäß mit kostbarem Öl und salbt seinen Kopf damit. Der Duft erfüllt den ganzen Raum. Was will diese Frau? Hier ist nur Platz für wichtige Reden! Das hieß damals auch: Hier ist nur Platz für Männer. Aber Jesus lässt es geschehen und genießt es sogar.

 

Unruhe kommt auf. Nicht nur, dass die Frau die Männergesellschaft unterbricht. Sie maßt sich an, was nach uralter Sitte nur Priester und Propheten dürfen: Sie bezeichnet Jesus mit der Salbung als Messias. Ohne Worte erklärt sie ihn vor aller Augen als Retter und König. Selbst wenn man diese Ungeheuerlichkeit noch tolerieren würde, eins geht nun wirklich zu weit: Das Luxus-Öl war eine überaus kostbare Import-Ware. Sein Wert entsprach dem Jahresgehalt eines Arbeiters. Was für eine Verschwendung! Wir setzen uns doch für Gerechtigkeit und sozialen Ausgleich ein! Wieviel Gutes hätte man damit für Arme tun können! Ein paar versuchen, die Frau zur Rede zu stellen. Andere beschimpfen sie lauthals.

 

Was Jesus darauf sagte, hat nicht nur die Männerrunde damals verblüfft. „Lasst sie in Frieden! Sie hat ein gutes Werk getan. Sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt für mein Begräbnis.“ Und Jesus sagte noch etwas. Dieser Satz ist wohl der Grund, warum diese Geschichte im Markusevangelium aufgeschrieben wurde: „Wo das Evangelium gepredigt wird in aller Welt, da wird man auch das sagen, was sie jetzt getan hat, zu ihrem Gedächtnis.“

 

Es gibt Momente, in denen auf einmal sichtbar wird, was zählt. Den Namen der Frau kennen wir nicht. Doch sie zeichnet etwas aus. Sie hat einen solchen Moment ergriffen. Sie hat als einzige verstanden: Auch wenn alle Jesus schon als Sieger sehen, kommt er am Leiden und Sterben nicht vorbei. Sie hat sich seinem Weg nicht entgegengestellt. Obwohl sie ahnte, dass man Jesus verfolgen und sogar töten würde. Sie hatte keine Strategie gegen die Gewalt. Aber sie hatte Mitleid und Sympathie. Diese Kräfte sind so viel stärker, als man oft denkt. Gegen den Augenschein hat diese Frau erkannt, dass Jesus gerade in seiner gewaltlosen Weise den Weg zu einem menschlichen Leben zeigen würde.

 

In der Passionszeit ist das wert zu erinnern: Leiden gehört zum menschlichen Leben. Und mit Gewalt kann man die meisten Probleme nicht lösen. Jesus hat gesagt: Behaltet diese Frau im Gedächtnis. Sie hatte den Blick für das Wesentliche.

 

[i] Markus 14, 3-9 (auch bei Matthäus, Lukas und Johannes wird diese Geschichte erzählt).

27.12.2015
Pfarrerin Heidrun Dörken