Der Traum vom heilen Leben - 1000 Jahre 'The Kid'

Morgenandacht
Der Traum vom heilen Leben - 1000 Jahre 'The Kid'
21.01.2021 - 06:35
18.01.2021
Stephan Krebs
Sendung zum Nachhören

Die Sendung zum Nachlesen: 

Unvergesslich dieser kleine Mann. Auf dem Kopf eine schwarze Melone, darunter verstrubbelte schwarze Haare. Auf der Oberlippe ein kleiner Bart und dazu dieser unverkennbare Watschelgang: Charlie Chaplin. Seine Filme machen feuchte Augen, das eine vom Lachen und das andere aus Rührung. Komödie und Sozialdrama in einem. Chaplins erster abendfüllender Film war „The Kid“ – das Kind. Heute vor genau 100 Jahren kam er in die Kinos. Technisch gesehen ist das natürlich von vorgestern: Schwarz-weiß, kein Ton, stattdessen das Wichtigste durch übertriebene Mimik und seltene Schrifttafeln.

 

Doch inhaltlich ist der Film so aktuell wie am ersten Tag. Er beschreibt den Kampf ums Überleben in einer harten Welt – und wie darin plötzlich ein Sinn fürs Leben aufscheint. Es geht um die Hoffnung auf ein heiles Leben. Dabei hat natürlich auch Gott seine Hand im Spiel.

 

Charlie Chaplin verkörpert einen Tramp, der sich in einem Armenviertel von New York durchschlägt. Es könnten auch die Hinterhöfe Berlins sein, wie sie Bert Brecht beschreibt, oder jede andere Stadt bis auf den heutigen Tag. Charlie ist zur falschen Zeit am falschen Ort. Oder im Gegenteil: goldrichtig, weil Gott ihn genau dort haben will? Jedenfalls: Er streift durch die Gassen und schaut, ob er irgendwo etwas Brauchbares finden kann. Neben einer Mülltonne entdeckt er ein kleines Bündel. Er bückt sich und erkennt ein kleines Baby. Schnell will er es wieder hinlegen und verschwinden. Doch genau in diesem Moment tritt ein Polizist neben ihn und blickt ihn streng an. Die Polizei wird in diesem Film noch häufiger eine Rolle spielen – natürlich als Hüterin der Ordnung. Doch am Ende auch als Engel Gottes.

Charly wird das Baby trotz etlicher Versuche nicht los. Schließlich schaut er es erstmals richtig an. Dabei findet einen Zettel mit der Bitte, sich gut um das Kind zu kümmern. Diese Worte wirken auf ihn wie ein göttlicher Auftragszettel. Plötzlich erkennt Charly einen Sinn in seinem Leben. Fortan kümmert er sich liebevoll um das Kind. Er nennt es John, die beiden werden ein schlagkräftiges Team. Der kleine John geht durch die Straßen und wirft Fensterscheiben ein. Dann kommt Charlie wie zufällig als mobiler Glaser vorbei, repariert die kaputte Scheibe und kassiert. Natürlich immer auf der Hut und nicht selten auf der Flucht vor der Polizei.

 

Diese Kleinganoven-Idylle zerbricht, als die Mutter auftaucht. Sie hatte – erfolglose Musikerin, vom Kindesvater verlassen – das Kind aus Verzweiflung ausgesetzt. Inzwischen ist sie eine erfolgreiche Sängerin. Doch Karriere und schicke Villa helfen ihr nicht gegen das schlechte Gewissen. Sie sucht nach dem Kind. Nach allerlei Verwicklungen findet sie es schließlich. Happy End?

 

Keineswegs: Denn nun ist Charlie am Boden zerstört. Verloren und verzweifelt hockt er am Straßenrand und schläft ein. Sein Traum wird zur Schlüsselszene des Films. Darin werden alle Menschen zu Engeln. Sie achten und lieben einander: die brutalen Straßenschläger, die schroffen Nachbarinnen und die strengen Polizisten. Alle, die Charlie vorher das Leben schwer gemacht haben, werden nun zu weiß gekleideten Engeln mit großen weißen Flügeln. So muss es wohl zugehen, wenn der Himmel Gottes auf die Erde kommt. Doch dann schleichen sich kleine Teufel ein. Sie sähen Neid, Missgunst und Eifersucht. Der Traum zerbricht. Da wird Charlie von einem Polizisten derbe wachgerüttelt. Der Polizist entpuppt sich als Engel – nur ohne Flügel und dafür echt. Er bringt Charlie nicht etwa ins Gefängnis, sondern zu seinem kleinen John und der Mutter, die ihn überglücklich aufnehmen.

 

Nun doch Happy End, glückliches Ende. So könnte es werden in einer anderen, kommenden Welt, wenn Gott alles zum Guten wendet. Im Film wird diese Hoffnung schon mal ein bisschen wahr – seit immerhin 100 Jahren. Die Hoffnung selbst ist allerdings noch viel älter und zum Glück unsterblich.

 

Charlie Chaplin, The Kid, der ganze Film:

https://www.youtube.com/watch?v=LQE0c1Zugx8

 

Es gilt das gesprochene Wort.

18.01.2021
Stephan Krebs