Forever Young?

Morgenandacht

Gemeinfrei via unsplash/ Andrew Ebrahim

Forever Young?
09.07.2022 - 06:35
11.06.2022
Cornelia Coenen-Marx
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Die Sendung zum Nachlesen: 

Es sind die Augen. Die Augen wirken nicht lebendig, das trübt den Eindruck. Es liegt immer an den Augen, ob digitale Abbilder lebensecht erscheinen. Damit schlägt sich Hollywood herum, seit bald 20 Jahren. Und nun auch ABBA.

 

Ende Mai gab es nach 40 Jahren endlich ein Wiedersehen mit der schwedischen Kultband. Nach fünf Jahren Produktionszeit feierte "Abba Voyage" Weltpremiere. Und schon in der ersten Woche rückte das Album auf Platz 1 der Charts. In der Konzertshow standen allerdings nicht die leibhaftigen Bandmitglieder auf der Bühne, sondern ihre "Abba-tare" – voll animierte, digital verjüngte Versionen im Siebzigerjahre-Look. Das Publikum war außer sich vor Begeisterung, man tanzte und klatschte mit. Die Musik ist zeitlos – forever young. Frida singt „Fernando“, sie sieht aus wie Frida, aber sie ist nicht Frida. Wer genau hinschaut, merkt: Ihren Augen fehlt der Glanz.

 

Bemerkenswert ist auch Bennys virtuelle Bühnenrede. Da spricht der Antreiber im „Voyage“-Projekt über das digitale Ich: „Sein oder Nichtsein, das hat jetzt keine Bedeutung mehr“, meint er. Wir könnten unser Leben ins Digitale verlängern - ich fürchte, das ist eine Illusion. Frida ist inzwischen 74, aber ihr digitales Ich ist noch immer 29. Gefangen in einem alten, jungen Körper.

 

Aus alten Fotos, Videos und Tonaufnahmen lassen sich inzwischen auch Verstorbene ins Leben zurückrufen - ins digitale Leben. Wir können uns virtuell mit ihnen treffen, uns austauschen und beraten. Aber hinter den Ratschlägen stehen doch nur die Erfahrungen von gestern. Das digitale Gespräch mit unseren Verstorbenen ist am Ende ein Gespräch mit unserer Vergangenheit – ohne Entwicklung in der Gegenwart. Aber soll mein Leben stehenbleiben bei denen, die schon gegangen sind? Ich mag nicht in einem Museum leben. Trotz aller Trauer will ich doch weitergehen - in der Hoffnung, dass wir eine gemeinsame Zukunft haben bei Gott. Ich möchte nicht von der Jugend der 70er träumen, sondern mit den Jungen von heute ins Gespräch kommen. Ihre Musik entdecken, verstehen, welche Sorgen sie haben. Ich will mit anderen diskutieren, wie wir die aktuellen Herausforderungen bewältigen. Ich hoffe, ich bleibe neugierig auf das, was noch kommt. Gute Zeiten und schlechte Zeiten. Ich will darauf vertrauen, dass wir Menschen die Kraft haben, damit umzugehen. Dass wir uns verändern können, weil wir keine Avatare sind. Weil wir mehr sind als das, was wir aus uns selbst gemacht haben. Was war und was kommt, alle meine Zeiten stehen in Gottes Händen, heißt es in einem Psalmgebet. (Ps 31).

 

 „Alter ist nichts für Feiglinge“, hat der Schauspieler Joachim Fuchsberger gesagt. Ob Frida ihre Tournee live durchhalten würde, wissen wir nicht. Die Rolling Stones müssen jedenfalls viel trainieren, um ihre Konzerte noch durchzuhalten. Ihren faltigen Gesichtern sieht man an, wieviel Jahre Erfahrung sie mitbringen. Keith Richards ist nicht forever young, aber er ist ganz da, ganz lebendig. Und alles andere als feige. Der Tag wird kommen, wo auch er nicht mehr auf der Bühne steht – ein Avatar wird ihn kaum ersetzen können. Und auch für mich kommt der Tag, an dem ich mich stellen muss. Meiner Verletzlichkeit, meiner Endlichkeit, meinen Grenzen. Immerhin: Frida, Benny, Agnetha und Björn waren bei der Premiere auch leibhaftig da. Sie haben ihre Abba-tare selbst vorgestellt. Erstaunt, neugierig und ein bisschen skeptisch schauten sie in diesem Moment zurück auf die, die sie mal waren. Ein vergangenes Ich, eine vergangene Zeit.

 

So auf das Leben zu sehen, das Vergangene loszulassen, das ist eine Kunst. Die Psychologin Verena Kast sagt, wir müssten lernen, abschiedlich zu leben. Uns nicht zu klammern an das, was wir waren oder was wir hatten, auch nicht an unsere Verstorbenen. Das Vergangene hinter uns lassen und aufbrechen zu neuen Ufern.  Uns in die Augen schauen, so lange es eben geht. Genau darum geht es auch beim Altern. Auch, wenn wir erst 40 sind – oder 29.

Es gilt das gesprochene Wort.

11.06.2022
Cornelia Coenen-Marx