Jauchzet, frohlocket

Morgenandacht

Gemeinfrei via pixabay/ WolfBlur

Jauchzet, frohlocket
21.12.2021 - 06:35
15.09.2021
Melitta Müller-Hansen
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Die Sendung zum Nachlesen: 

Kaum jemand, der es nicht kennt - das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach. Jauchzet, Frohlocket!! Freude überschwänglich, mit Pauken und Trompeten. Mitreißende, überschwängliche Freude!

Mich bringt sie immer wieder in Bewegung, zumindest ein wenig hin- und herwiegen muss ich mich einfach, am liebsten mitsingen und dazu tanzen.

Der Komponist hat genau hingeschaut, in sich selbst hineingehorcht: Freude ist etwas, das tief aus dem Inneren kommt, sich ansammelt, größer wird, hochperlt wie Champagner im Glas und dann überströmt. Bei Bach beginnt sie mit tiefen Paukenschlägen und schraubt sich hoch bis zu den Trompeten. Und dann der Chor: „Jauchzet, frohlocket! Lasset das Zagen, verbannet die Klage!“

Auch das genauestens dem Leben abgeschaut: Die Freude muss sich durchsetzen, sie hat es schwer, ist nicht so einfach kindlich da. Dem Herzen einen Schubs geben. Einen inneren Weg bahnen diesem Zustand, in dem ich mich viel zu selten aufhalte... Dazu bewegt mich diese Musik. Und ich glaube dem Komponisten aufs Wort, seitdem ich seine Geschichte kennen gelernt habe.

Denn das Leben von Johann Sebastian Bach durchzieht eine ununterbrochene Spur von Traumatisierungen, wie die Fachärztin für Psychotherapie und Traumaforscherin Dr. Luise Reddemann entdeckt hat. In ihrem Buch „Überlebenskunst“ deutet sie seine Musik als Weg der Verwandlung von „Herzeleid zu Herzensfreud“.

Johann Sebastian Bach wird in eine weit verzweigte Musikerfamilie hineingeboren. Als sechstes und jüngstes Kind. Mit 10 Jahren ist er bereits Vollwaise und hat nicht nur die Eltern, sondern auch schon Geschwister und andere nahe Verwandte sterben sehen. Das gibt ihm sein Lebensthema vor: Tod und Trauer, Endlichkeit. Und die unaufhörliche Suche nach Hoffnung, Trost und Freude. Zwei von sechs Kindern verliert er mit seiner ersten Frau. Dann stirbt auch sie, seine geliebte Maria Barbara. Bach findet sie bei seiner Heimkehr von einer Reise schon begraben, Abschiednehmen ist nicht mehr möglich. Und so geht die Reihe weiter: Mit seiner zweiten Frau Anna Magdalena trägt er innerhalb von vier Jahren noch vier Kinder zu Grabe. Und ebenso wichtige Wegbegleiter: sein ältester Bruder, Freunde, Textdichter seiner Kantaten. Und – das sei auch nicht verschwiegen: Er hat harte Kämpfe mit seinen Vorgesetzten zu bestehen, immer wieder. Die Kirche ist für ihn als Künstler eine schwere Bürde. Und eher ein Hindernis auf dem Weg zu Gott und in seiner Kunst.

Wie verkraftet ein Mensch diese Fülle von Abschieden, Verlusten? Natürlich, im 17. und 18. Jahrhundert durchaus nichts Ungewöhnliches. Aber Johann Sebastian Bach macht daraus Musik. Er verdrängt nicht. Er vermeidet nicht, den Schmerz zu fühlen. Er umgeht die Trauer nicht. Bach findet dafür Töne und Klänge. Im Weinen der Oboe erkenne ich mühelos mein eigenes Weinen wieder, das von heute und manchmal auch das frühe aus Kindertagen. Aber Bach verliert sich nicht in seinen Emotionen. Wie Kinder spielen und darin versinken, so versinkt er in Arbeit, in Musik. Sie trägt ihn an andere Ufer und in andere Dimensionen. Bedingungslose Liebe, eine Herrlichkeit, die alles überstrahlt. Immer wieder göttliche Liebe, Geborgensein, Dank, Lob Gottes.

Jauchzet, Frohlocket! Bach hat das große Glück gespürt, ein Getrösteter zu sein. Und das ist eine Freude aus der Tiefe. Mein Herzeleid kann sich in Herzensfreud verwandeln.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Musikangaben:

  1. Chor des Bayerischen Rundfunks Akademie für Alte Musik Berlin Peter Dijkstra, Jauchzet, frohlocket, auf preiset die Tage. Chor aus: Kantate Nr. 1: Am ersten Weihnachtstag. CD-Titel: Gloria.

 

 

15.09.2021
Melitta Müller-Hansen