Wort zum Tage
Gemeinfrei via unsplash/ Amauri Mejía
Beten und Arbeiten am Fließband
von Pfarrerin Melitta Müller-Hansen
01.05.2024 06:20
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Das Fließband bei Audi war nicht ihr Lieblingsarbeitsplatz. Jeder Handgriff musste sitzen, es musste schnell gehen. Fließband eben. Ihre Aufgabe war es, die überflüssigen Lacke am Auto wegzuputzen, die die automatisierte Waschanlage nicht geschafft hatte. Die Hände meiner Mutter waren sehr geübt im Putzen. Das Haus, den Garten, die Blumen von welken Blättern befreien. Aber Lacke wegputzen, ihre Dämpfe einatmen… Kopfweh Magenschmerzen…

Ihr Lieblingsarbeitsplatz war ein anderer. Leicht vornübergebeugt saß sie zu Hause am Tisch und nähte. Die feinsten Stickereien sind unter ihren Händen und ihren Augen entstanden: Tischdecken, lange Vorhänge ganz in Weiß, mit einem feinen Netz durchzogen und dann mit vielen tausend Stichen zu Blumen und Blätterranken ausgenäht. Bänder für die siebenbürgische Tracht - mit Seide auf Samt gestickte bunte Blumen, mit Goldborte umrankt – ein Kopfschmuck für junge Frauen oder man trägt sie auf dem langen Rock – vorne eine schöne Schürze, hinten die buntbestickten Bänder. Ganze Winter lang ist das die Lieblingsarbeit meiner Mutter gewesen.

Nun, in Deutschland, musste sie Geld verdienen. Wir Kinder sollten studieren können. Man wollte ein eigenes Haus mit Garten. Also Fließband. Schnell verdientes Geld, ohne große Vorbildung. Von Seide auf Lacke umsteigen. Schichtarbeit. Hart verdientes Geld.

Doch plötzlich tut sich hier etwas auf, was meiner Mutter zu Hause über ihren Stickereien nie begegnet wäre. Sie lernt Hatice kennen, die Gastarbeiterin aus der Türkei. In den Pausen erzählen diese beiden Frauen sich ihre Lebensgeschichte, ihre Liebesgeschichten, vertrauen sich ihre Ehegeheimnisse an, sprechen über ihre Kinder.

Eines Tages, an diesem lauten, stinkenden Ort, haben die beiden auch über ihren Glauben und ihre Religion gesprochen. Für einen Moment droht die Beziehung in Schweigen zu enden. Jesus – ist ein Prophet, sagt Hatice. Nein, das ist der Sohn Gottes, sagt die evangelische Christin Maria. Du glaubst es so, ich so, aber das muss uns nicht trennen. Darauf haben die beiden sich am Schluss geeinigt. Der Respekt und die Zuneigung zueinander waren größer. Verbunden hat sie der Glaube, dass es einen Gott gibt und Gottes Kraft in ihrem Leben.

Ora et labora, beten und arbeiten. Das ist eine der ältesten Ordensregeln. Für Klostermauern entwickelt. Wenn es sich am Arbeitsplatz ereignet, dann geht es da nicht nur um hart verdientes Geld. Sondern um das große Geheimnis Leben.  

Es gilt das gesprochene Wort.

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