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Warum müssen die Gerechten leiden?
Theodizee und die Psalmen
27.09.2025 06:35
Wer sich gut verhält, dem geht es gut. Diese Rechnung geht nicht auf. Aber die Welt in gute und böse Menschen einzuteilen, ist ebenfalls nicht befriedigend.
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Warum muss der Gerechte leiden? Es gibt 150 Psalmen in der Bibel und fast alle – 135 – stellen diese Frage. Warum muss der Gerechte leiden? Wie die Psalmen damit umgehen, finde ich inspirierend. Sie geben mir andere Denkmuster. Sie helfen mir, irgendwie herauszukommen aus Panik und Geschrei, das immer wieder ausbricht, wenn etwa Unschuldige bei einem Anschlag zu Tode kommen. Es ist wie das Einüben eines anderen Alphabets. Mit denselben Buchstaben. Meinen Glauben neu durchbuchstabieren…

So lese ich Psalm 34. Er packt seine Antworten in das ganze hebräische Alphabet. Jeder Psalmvers beginnt mit einem Buchstaben des Aleph Beth, bis es komplett ist. Zerbrochene Herzen, Menschen, die den Lebensmut verlieren. Und immer wieder Leid, Unglück, das über den Gerechten kommt. Darum kreist der Psalm ab seinem 16. Vers.

Die Augen der Ewigen ruhen auf den Gerechten,

ihre Ohren hören auf ihren Hilfeschrei.

Das Angesicht der Ewigen blickt auf die, die Böses tun,

um deren Gedenken von der Erde zu tilgen.

Nahe ist die Ewige denen, deren Herz gebrochen ist,

deren Lebensmut zerschlagen ist, die befreit sie.

Groß ist das Unglück der Gerechten –

aus all dem errettet sie die Ewige.

Sie bewahrt alle ihre Knochen,

keiner von ihnen wird zerbrochen werden.

Die Böses tun, wird Bosheit töten,

die die Gerechten hassen, laden Schuld auf sich.

(Psalm 34, 16-22, Bibel in gerechter Sprache)

Auf die Frage, warum die Gerechten leiden, gibt es keine Antwort. Aber es herrscht eine klare Ordnung in diesen Versen: Die Gerechten hier – die Bösen da. Sie stehen einander gegenüber. Wie zwei Lager, wie zwei Blöcke. Und Gott ist parteiisch auf der Seite der Gerechten und Leidenden. Die anderen werden verderben, heißt es.

Die Gerechten hier und die Frevler da. Der Psalm spielt eine Eindeutigkeit vor, die es so nicht gibt oder nicht immer gibt. Man gehört nicht immer eindeutig zur einen oder zur anderen Gruppe.

Die Bibelwissenschaftlerin Ursula Rapp versucht, diese strikte Aufteilung von Menschen in gute und böse zu überwinden. Und so übersetzt sie nicht mehr so, dass Personen damit identifiziert werden. In ihrer Übertragung sind es Haltungen: Aus dem Frevler wird das Frevlerische, aus dem Bösen das Böse. So könnte es im Psalm 34 dann heißen:

"Das Angesicht der Ewigen blickt auf böse Taten, um sie von der Erde zu tilgen."

Für mich ist das ein neuer Denkweg. Wenn ich "die Bösen", "die Frevler" denken muss, drifte ich leicht in Hassgefühle ab. Und das vergiftet mich selbst. Ich muss damit Tag und Nacht leben, der Gehasste bekommt im besten Fall gar nichts mit davon. Oder ich bleibe in Selbstgerechtigkeit stecken, im Rechthaben. Die göttliche Gerechtigkeit durchbuchstabieren geht anders. Sie beginnt in meinem Herzen.

Das Herz ist der "Mitteort" in uns, sagt Ursula Rapp, "wo wir am tiefsten unseren Weg, unsere Sehnsucht spüren." Und sie erzählt von einer Unterscheidung, die mich berührt. Es gibt das Muskelherz und das stille Herz (Franziska Tillmanns): Das stille Herz ist in der Mitte der Brust und umfängt das Muskelherz, das unermüdlich schlägt. "Das Muskelherz ist wunderbar stark, doch es ist manchmal ein Kind, ein ängstliches. Mein Muskelherz wünscht sich Frieden, es glaubt ihn zu brauchen, es bedarf des Friedens. Doch das stille Herz trägt alles. Das stille Herz weiß mehr. Das stille Herz ist überall, es ist in den Bäumen, am Gipfel der Berge, am Grund der Meere. Es ist still und voller Süße."

Dass die Gerechten immer wieder leiden - vielleicht hilft mir dieses stille Herz, das auszuhalten.

Es gilt das gesprochene Wort.

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