Nur die Liebe zählt

Morgenandacht
Nur die Liebe zählt
Rosenmontag
08.02.2016 - 06:35
27.12.2015
Pfarrerin Cornelia Coenen-Marx

In dieser Woche beginnt in den Kirchen die Fastenzeit. Sieben Wochen bewusstes Leben. „Großes Herz – Sieben Wochen ohne Enge“, heißt diesmal das evangelische Motto. Schon seit ein paar Tagen hängt der Fastenkalender in unserer Küche – das Titelbild zeigt eine Frau mit lachendem, offenem Gesicht, die mit beiden Händen Konfetti fängt.

 

Das passt schon heute gut, obwohl die Fastenzeit noch gar nicht angefangen hat. Es ist Rosenmontag - im Rheinland, in der Pfalz oder in Frankfurt stehen die Menschen an den Straßen und fangen Kamellen. Süße Sachen, die von den Karnevalswagen in die Menge geworfen werden. Ich erinnere mich an das kleine Dorf in der Eifel, wo meine Familie ein Ferienhaus hatte – ein altes Bauernhaus. Beim Karnevalszug in diesem Dorf machte jeder mit – in der Fußgruppe, auf dem Wagen oder auch an den Ständen, die am Rand der Straße standen. Mit Waffeln und natürlich auch mit Bier - und Limonade für die Kinder. Seit Wochen war darüber gesprochen worden, wer welches Kostüm trug: die Frauen nähten, die Männer bauten Wagen – seit nach St. Martin die neue Session begonnen hatte, gab es kein anderes Thema mehr. Im übrigen waren der Martinsverein, der Schützen- und der Karnevalsverein sowieso identisch. Immer die gleichen Leute – aber am Rosenmontag eben doch ganz anders. An den Kindern ließen sich ihre Träume ablesen: überall Cowboys und Prinzessinnen. Schönheit und Stärke.

 

Sich ausprobieren, neue Freiheiten entdecken - raus aus der Enge des Alltags. Wenn dann das Bier schon reichlich geflossen ist, bleibt von der harmlosen Kinderei oft nicht viel übrig. Der Name Rosenmontag kommt ja nicht von den bunten Blütenblättern, er kommt von der Raserei, die eben auch zum Winterbrauchtum gehört. Sich vergessen und über die Stränge schlagen. Den wilden Kerl markieren - bei der Fasnacht im Süden auch mit Pelzen und Schellen. Klar, dass gleich nach den Silvester-Übergriffen in Köln neue Sicherheitsmaßnahmen für Karneval angekündigt wurden. Anmache und frauenfeindliche Gewalt gab es an diesen Tagen schon immer. Und schon immer sahen viele weg. Aber nach dem Ausbruch von Gewalt am Kölner Hauptbahnhof muss damit Schluss sein.

 

„Schenk mir Dein ganzes Herz und bleib bei mir“ singt die Karnevalsgruppe „Die Höhner“. Für heiße Liebesgeschichten braucht man heute eigentlich keinen Rosenmontag mehr. Auch nicht für Rollentausch und Kleiderwechsel - nicht, um sich selbst neu auszuprobieren. Unsere Gesellschaft lässt vieles zu und es ist schon schwer, die Grenze zu beschreiben, die einst so klar markiert war – mit Beginn  der Fastenzeit war alles vorbei. „Schenk mir Dein Herz, ich schenk Dir meins – nur die Liebe zählt“, heißt es in dem Lied der Höhner. Vielleicht ist damit die Grenze markiert. Es ist eben nicht liebevoll, jemand gegen seinen Willen zu begrapschen. Oder den Partner hinterrücks zu betrügen.

 

„Liebe und tu, was Du willst“, schreibt der Kirchenvater Augustinus. Auch er hatte vor seiner Konversion zum Christentum so ziemlich alles probiert und dabei viele enttäuscht - und er kennt kein anderes Kriterium für das Glück als die Liebe. Er wusste, wie lieblos es ist, auf der Suche nach sich selbst die Menschen im Stich zu lassen, die einen brauchen. Oder einen anderen zu begehren und zu benutzen - nur als Schmuck für das eigene Ego. Es kann aber auch lieblos sein, Regeln und Ordnung über alles zu stellen – und so alle Menschlichkeit zu vergessen. Das hat Jesus gezeigt, als er sich mit den Verachteten und Geächteten an einen Tisch setzte: den Freund der Zöllner und Sünder nannten sie ihn, einen Fresser und Weinsäufer. Er liebte es, die Perspektive zu wechseln; ließ sich von einem Zöllner einladen, von einer freizügigen Frau die Füße waschen. Ein bisschen davon steckt bis heute im Karneval: in den fröhlichen Feiern, in der Umkehr des Blickwinkels. Ob Jesus mitgefeiert hätte? In meinem kleinen Eifeldorf, wo die Kinder in ihren Kostümen in die Kirche kamen, bestimmt. Wo alles außer Rand und Band gerät, ganz sicher nicht. Es ist die Liebe, die zählt.

27.12.2015
Pfarrerin Cornelia Coenen-Marx