Psalmen mit Panorama über Berlin

Morgenandacht

Gemeinfrei via unsplash/ Daniel Gutko

Psalmen mit Panorama über Berlin
Morgenandacht von Evamaria Bohle
10.04.2024 - 06:35
25.03.2024
Evamaria Bohle
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Ein Filmteam ist zu Gast im evangelischen Stadtkloster zu Berlin, zu dem ich gehöre. Katty Salié, Moderatorin des ZDF-Kulturmagazins „aspekte“, erklimmt mit viel Respekt die steilen Stiegen, die im Kirchturm zu bewältigen sind. Auf der Ebene der Kirchturmuhr angekommen öffnet sich ein 360 Grad-Blick über Berlin. Und während Salié noch die Aussicht genießt und mit einem Mitglied des Stadtklosters spricht, sind im Hintergrund – leise, leise – singende Männer- und Frauenstimmen zu hören.

Es ist ein Psalm aus der Bibel, den der Stadtklosterkonvent zum Mittagsgebet singt. Man kann den Gesang oben auf dem Turm eigentlich nicht hören. Aber im Film klingt er durch die Szene hindurch: „Der Himmel freue sich, die Erde frohlocke…“ Mit diesem kleinen Kunstgriff aus dem Filmschnitt wird ganz beiläufig erlebbar, wie die Tageszeitengebete den Alltag an diesem geistlichen Ort mitten im Prenzlauer Berg durchdringen.

Eine Nacht und einen Tag war das ZDF-Team im Stadtkloster mit der Frage zu Gast, ob diese Kirche mit ihren Gebetszeiten und Meditationsräumen ein Ort der Weltflucht sei. Die Filmmacher:innen haben im Gästehaus übernachtet. Sie nahmen beobachtend an den Gebeten teil, ließen sich den Fürbittbriefkasten erklären. Sie wollten verstehen, was Menschen von heute an diesem Ort des Gebets zu finden hoffen.

Denn das Beten bleibt für viele Menschen eher eine Fremdsprache. „Wünsche ans Universum“ sind verbreiteter, auch das meditierende Sitzen in der Stille hat Freund:innen. Aber wenn das Beten sich an eine aus fernen Jahrhunderten stammende liturgische Ordnung anlehnt und sich an G’tt wendet, ist das Befremden oft beträchtlich: Wie passt das in unsere Zeit?

Wir im evangelischen Stadtkloster beten täglich gemeinsam. Gäste sind immer willkommen. Wir, das ist der sogenannte Konvent, die achtköpfige Gemeinschaft, die im Stadtkloster lebt und arbeitet. Noch nie ist eines dieser Tageszeitengebete ausgefallen. Das ist keine Kleinigkeit, finde ich. Wenn die Glocken morgens und mittags läuten, lassen wir uns bei dem, was wir tun, unterbrechen und richten uns gemeinsam aus zu dem, „der unseres Lebens Mitte ist“.

Der Ablauf ist einfach. Ein Lied. Ein Gebet. Ein Abschnitt aus der Bibel. Schweigen. Vaterunser und Segen. Das ist alles. Mehr ist es nicht. Aber gerade diese eher spröde Regelmäßigkeit erdet und führt mich verlässlich in die Weite. Wie ein Strandspaziergang. Die liturgische Form strahlt in unser Zusammenleben aus. So empfinde ich es. Sie begrenzt wohltuend die eigene Originalität, lehrt auf die Stimmen der anderen zu hören und verbindet sowohl mit den heute Mitbetenden als auch mit den Generationen, die vor uns G’tt die Ehre gegeben haben. Wir müssen nicht immer alles neu erfinden. Wir dürfen uns in den Formulierungen derer bergen, die vor uns waren. Durch die Psalmen, Lieder und Bibeltexte öffnen sich Türen zu den Traditionen, die uns tragen.

Hier schlägt wohl tatsächlich das Herz unserer Gemeinschaft im evangelischen Stadtkloster zu Berlin. Wir wollen uns ausrichten nach G’tt - jede auf ihre, seine Weise und in Gemeinschaft. Wir üben jeden Tag neu, aufeinander zu hören. Wir bemühen uns, im Alltag so miteinander umzugehen, dass wir miteinander beten können.

Klar, in einem Stadtkloster fällt das leichter als im Alltag einer Familie oder in einem Job mit anderen Vorgaben. Aber viele Gäste, die zu uns kommen, sagen: Gut, dass es so einen Ort mitten in Berlin gibt, von dem ich weiß, ich kann jederzeit dazukommen. Und von dem ich weiß: Ihr betet für mich mit.

Einige Gäste erzählen, wie sie auf ihre Art versuchen, kurze, heilsame Unterbrechungen in ihren eigenen Alltag zu holen. Für das „Kloster to go“ braucht es nicht viel Eine Bitte vor dem Aufstehen: „G’tt, segne diesen Tag!“ Ein Innehalten vor dem Essen, ob am Familientisch oder in der Kantine, und sei es nur ein Augenschließen lang. Vor dem Einschlafen ein „Danke für diesen Tag!“ oder, wenn er anstrengend war, ein „G’tt, lass gut sein für heute – morgen ist ein neuer Tag!“.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

25.03.2024
Evamaria Bohle