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Die Sendung zum Nachlesen:
Weißt du noch, wie es begann?, fragt G’tt. - Es ist einer dieser intimen Momente beim Beten. Im Schweigen verankert. Ich nicke. Natürlich erinnere ich mich, wie es begann: das „Vater unser im Himmel“-Beten und alles, was daran hängt. Und für einen Moment lang sieht G’tt aus wie meine wehmütige Mutter. In meinem Leben hat die Menschwerdung G’ttes mitunter überraschende Facetten.
Natürlich erinnere ich mich: Das Vaterunser habe ich von meiner Mutter gelernt. Auf der Bettkante. Nebenbei. Spielerisch. An der Schwelle zur Nacht. Zwischen Tag und Traum sät sie die fremde Sprache des christlichen Glaubens in mein Kinderherz. Es sind Momente des Friedens. Auch die Nöte meiner Mutter ziehen sich beim gemeinsamen Beten zurück. Wer wen tröstet, ist gar nicht gesagt.
Sie lehrt mich das Vaterunser beiläufig. Ich merke gar nicht, dass ich lerne. Das Beten gehört zu unserem Gute-Nacht-Ritual: Zwischen dem Vorlesen und dem Singen des geliebten „Marie-Mara-Maruschkaka“-Liedes oder dem vom Mond wird gebetet. Und danach bleibt die Kinderzimmertür einen Spalt geöffnet, damit das Flurlicht nach mir schauen kann. Und ich nach dem Flurlicht.
Es ist nicht egal, ob und wie oder bei wem wir das Beten lernen. Mit welchen Gefühlen es sich verbindet, das Glauben, Hoffen, Lieben. Das Reden von G’tt: Öffnet sich das Herz oder verkrampft sich der Nacken? Ist Angst im Spiel, falscher Trost? Der Körper vergisst nie.
Die Lehrmeister:innen der Kindheit legen Spuren, auch in der Spiritualität. Säen aus. Was später wachsen kann oder nicht, liegt nicht in ihrer Hand. Aber was Hänschen und Gretchen lernen, hat Folgen, mit denen sie umzugehen haben, wenn sie sich als Hans oder Grete in ihrem Wald verirren. Oder in ihrem Alltag. Die Frage stellt sich: Wie kann aus dem früh Gelernten etwas heranreifen, das dem Erwachsenen entspricht und hilft?
Nach und nach kann das kleine Mädchen die schönen alten Worte mitsprechen - „Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name“. Es nimmt den fernen Klang in seinen Mund, kostet von der Sprache der Erwachsenen. An die Mutter gelehnt verbindet sich für mich Religion mit Geborgenheit, mit Verlässlichkeit und Heiterkeit: Marie-Mara-Maruschkaka. Das Heilige und das Schöne gehören zusammen. Noch heute.
Dass G’tt da ist, mich liebt, außerdem weiß, wie viel Kinder frühe aus ihrem Bettlein aufstehen und sich auch um den kranken Nachbarn mit dem kaputten Bein kümmert, ist kindliche Selbstverständlichkeit. Öffnet mir einen sicheren Ort zwischen all den Ängsten, die jede Kindheit begleiten.
Für das kleine Mädchen von damals ist der Sinn der Vaterunser-Worte nicht entscheidend. Er bleibt geheimnisvoll. Es ist mehr der Klang der Worte, der anzieht, gehüllt in die Stimme der Mutter. Weit weist dieser Klang über die Kinderwelt hinaus in andere Zeiten und Welten. Auch in die unbekannte Welt der Erwachsenen. Daran Anteil zu haben, erfüllt mich als Kind. Etwas in mir wird groß.
Die Worte aus dem Vaterunser – das „Geheiligt werde dein Name“, das „Dein Reich komme“ – sind Standleitungen zu der kindlich gefühlten Überzeugung: „Doch. Es ist alles gut.“ Die Worte sind wie Schiffe, die in meiner Kindheit in der Bucht meines Verstandes vor Anker gegangen sind, geborgen im Schoß meiner Mutter. Eine ganze Flotte: „Himmel“ und „Erde“ heißen diese Schiffe. „Dein Reich“ und „Wille“, „Täglich Brot“, „Schuld“ und „Vergebung“, „Versuchung“ und nicht zuletzt: „Kraft“, „Herrlichkeit“ „Ewigkeit“ und „Amen“.
Das liegt mehr als 50 Jahre zurück. Meine Mutter ist kürzlich gestorben. Aber was sie mich gelehrt hat, lebt weiter. Und immer noch öffnet sich im Sprachspiel des Vaterunsers verlässlich eine Tür zu Geborgenheit und Weite. Zu einem tief empfundenen Aufgehobensein in einer Freiheit, die größer ist als ich. „Weißt du noch, wie es begann mit uns?“, fragt G’tt.
Es gilt das gesprochene Wort.