Morgenandacht
Gemeinfrei via unsplash/ Oliver Pacas
Charlies Ritual
Morgenandacht von Evamaria Bohle
13.04.2024 06:35

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Die Sendung zum Nachlesen: 

Manchmal bin ich Charlie. Charlie hat immer wieder Mühe mit der Kirche. Aber wenn sie betet, geht die Sonne auf. Das klingt dann so: „Heute früh, als ich für mein morgendliches Ritual wie immer zum äußersten Rand der Wiese hinters Haus gegangen bin, da brach die Sonne durch den Nebel. Der Himmel über mir war schon ganz blau, die Bäume noch wie Schemen. In der Ferne brummte die große Stadt wie ein unsichtbarer, gewaltiger Motor. Ich dachte: ‚Es werde Licht‘ und ‚Licht der Welt‘ und war glücklich, tief in meinem Herzen.“

Das hat Charlie geschrieben in ihrer kirchenfernsten Phase. Ich verstehe sie. Auch meine Frömmigkeit, meine Spiritualität ist manchmal in der Natur mehr zuhause als in Kirchenräumen. In biblischer Sprache gesagt: Mit den „Flügeln der Morgenröte“ fliege ich zum äußersten Meer. Ich liebe den „Windhauch, Windhauch“ im Gesicht und den Boden unter den bloßen Füßen - das „Heilige Land“, „die Stätte G’ttes bei den Menschen“. Oder ich vertraue mich dem Wasser an - See oder Schwimmbad, lege mich auf den Rücken, schwebe zwischen Himmel und Erde und lasse das Gewicht meines Lebens zurück. G’tt ist gegenwärtig. Ich kann es spüren. Beten heißt Vertrauen fühlen.

Mein Gebet fand lange Jahre eher unter offenem Himmel statt. Draußen kann ich staunen und schweigen und in Kontakt gehen zu dieser Kraft, die all das Wachsen und Blühen, das Brüten und Säugen trägt. Das Leben. Auch meins. Sich dem zu öffnen, auch das ist Beten.

Heute bete ich wieder oft in einer Kirche. Der Weg ist für mich kürzer als der in die freie Natur. Ich wohne mitten in der Stadt, nicht mehr am Rand einer Wiese. Hier fließt kein Bach, hier fließt der Verkehr. Die Vögel, die auch zwischen Häusern morgens früh mit dem Singen anfangen, müssen sich durchsetzen gegen den Alltagslärm. Ich betrete derweil eine Kirche, lasse mich von ihrer kühlen Stille umfangen. Auch in der dämmrigen Kirche nehme ich Flügel der Morgenröte, stelle mich ins Licht der Welt. Lasse mich treiben in der Gegenwart G’ttes. Charlie lässt grüßen.

Sie beginnt ihr Gebet mit Dank. Sogar, wenn die Zeiten schwierig sind und die Angst ein steter Gast, gibt es gute Gründe: Danke, dass Liebe möglich ist in unserer Welt, dass die Demokratie Freund:innen hat, dass der alte Kater immer noch schnurrt… Dankbarkeit ist eine Frage der Perspektive. Dankbarkeit schärft die Sinne und nährt die Heiterkeit.

Charlies Gebet kommt ganz ohne das Wort G’tt aus. Sie mag es nicht. Es klingt in ihren Ohren nach Bevormundung und Gewalt. Sie setzt auf eine Lebenskraft, die alles durchströmt und miteinander verbindet. Kein Gegenüber, ein Ineinander eher. Mit dieser Kraft verbindet auch sie sich in ihrem Ritual, ihr zollt sie Respekt, denn sie empfindet Ehrfurcht vor dem Leben.

Das Gebet im Dank zu verwurzeln, schon das verschiebt das Lebensgefühl, sagt sie. Ich verstehe Charlie. Auch wenn ich auf das Wort G’tt nicht verzichten möchte. Für mich ist es ein Platzhalter für die Allmacht der Liebe und das Geheimnis der Güte. Wenn ich „G’tt“ sage, öffne ich mein Herz dieser Gegenwart: Vater unser im Himmel.

Charlie beschließt ihr Morgengebet mit der Bitte um Segen für alle Begegnungen, die der Tag bringen wird. Auch und gerade für die schwierigen. Es geht darum, Liebe zu üben und der eigenen Voreingenommenheit Grenzen zu setzen. Jeden Morgen aufs Neue positive Energie zu channeln.

Wenn Charlie betet, geht die Sonne auf in ihrem Leben. Und immer hat sie ein Glas Wasser bei sich. Ein Symbol für den Durst, der alles verbindet, was lebt. Sie verschüttet ein wenig Wasser, trinkt Schluck für Schluck und gießt den letzten Rest aus. Das Teilen einüben - mit der sichtbaren und der unsichtbaren Welt. Geheiligt werden deine Namen.

Es gilt das gesprochene Wort.