Von G’tt träumen
von Evamaria Bohle
08.08.2024 06:20
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Im Segenskloster zu Berlin darf bei einer Meditation geschlafen und geträumt werden. Schließlich meldet sich in der Bibel G’tt immer wieder im Traum zu Wort.

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Es darf geträumt werden. Unter dem Kirchengewölbe. Die junge Frau liegt auf der Seitenempore auf dem Rücken. Hat sich ein Nest gebaut aus Yogamatte und Decke. Die Beine mit den modisch an den Knien zerrissenen Jeans angezogen, der Unterarm ruht locker über den Augen. Sie döst. Ob sie träumt? - Neben ihr ein Pflasterstein. Wir nennen ihn den Stein der Angst. Ob er sich verwandeln wird?

Es ist Traumzeit. So haben wir diese Meditation genannt beim Klostertag im Stadtkloster Segen zu Berlin. Einschlafen ist erlaubt. Schließlich meldet G’tt sich in den alten Geschichten der Bibel auch immer wieder im Traum zu Wort. Wenn innere Bilder spielerisch Vertrautes und Unbekanntes zu neuer Bedeutung verbinden. Vielleicht sogar zu etwas, das dem Leben einen Stups gibt oder eben die Angst verwandelt.

Die Frau auf der Empore ist eine von 20, die sich irgendwo in der Kirche ein Plätzchen für ihre Traumzeit gesucht haben. Auf Kirchenbänken, im Altarraum, neben der Orgel, am Fuße einer Säule, im Seitenschiff. Alle haben so einen Pflasterstein neben sich liegen.

Die Idee zur Traumzeit mit Stein ist vom biblischen Jakob und seinem Himmelsleiter-Traum inspiriert. Jakob ist einer dieser interessant-ambivalenten Helden der Bibel. Gerade steckt er in schwerster persönlicher Krise. Jakob hat selbstverursacht alles verloren, was ihn ausmacht, ist auf sich gestellt. Es gibt kein Zurück, und in der nächtlichen Wildnis macht sich die Angst breit. Den Stein, den er griffbereit neben sein Lager legt, kann man ruhig auch als Waffe lesen. Jakob schläft ein und träumt von einer Himmelsleiter. Im Traum öffnet sich über ihm das Firmament. Ein G’ttesmoment. Und G’tt verspricht, ihn nie allein zu lassen. Traumzeit.

Als Jakob erwacht und sich aufrichtet, ist immer noch nur Wildnis, Ungewissheit und Einsamkeit um ihn herum. Was sich verändert hat, bleibt unsichtbar. Doch Jakob macht seinen Stein der Angst zu einem einfachen Erinnerungsmal. Zu einem persönlichen Wegzeichen. Hier träumte ich und sah ein Tor zum Himmel. Er nennt den Ort "Haus Gottes". Es wird Jahrzehnte dauern, bis er wieder hier vorbeikommt.

Für fast 40 Minuten wird es still in der Kirche des Stadtklosters. Wo sonst werktags Tagzeitengebete gesungen und Sonntagabend Gottesdienst gefeiert wird, atmen 20 Träumerinnen und Träumer. Mit ihren Geschichten und Ängsten, mit ihren Steinen und ihrer Sehnsucht. Jeder, jede für sich, und doch alle gemeinsam. Von irgendwo kommt tatsächlich ein leises Schnarchen. Die Welt ist Gottes so voll. Es darf geträumt werden.

Es gilt das gesprochene Wort.

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