Schwing dich auf!

Morgenandacht
Schwing dich auf!
28.04.2021 - 06:35
22.04.2021
Peter Oldenbruch
Sendung zum Nachhören

Die Sendung zum Nachlesen: 

„Schwing dich auf zu deinem Gott, du betrübte Seele! Warum liegst du, Gott zum Spott in der Schwermutshöhle?“ (EKG 296)
Im alten Evangelischen Kirchengesangbuch stand´s noch drin: dieses Paul-Gerhardt-Lied. Im EG hat man es weggelassen, seine Sprache klingt auch altertümlicher als viele andere Paul-Gerhardt-Lieder. Diesen geistlichen Aufschwung empfiehlt nun kein glücklicher, sondern ein leidgeprüfter Mensch. Paul Gerhardts Eltern sterben, als er 14 ist, zeitgleich bricht der Dreißigjährige Krieg aus, „die traurige Begleitmusik seines weiteren Lebens“ . Vier seiner fünf Kinder sterben, auch seine wesentlich jüngere Ehefrau nach 13 Jahren Ehe. Um nur einige seiner Probleme zu nennen. Dieser Mann dichtet:
„Schwing dich auf zu deinem Gotte, du betrübte Seele! Warum liegst du, Gott zum Spotte in der Schwermutshöhle?“ 
Und das ist kein Widerspruch. Das Leben ist für ihn eine Anfechtung, sogar eine Glaubensanfechtung und er schreibt und singt dagegen an. Er hatte auch kongeniale Komponisten, Johann Crüger zum Beispiel, sein Entdecker. Ich glaube, viele seiner Verse singen mit aller Macht gegen das an, was wir heute Depression nennen. Paul Gerhardt nennt´s „Schwermutshöhle“. Ich vermute, er kannte die Schwermut. Sei es, dass seine früh an Tuberkulose erkrankte Frau „depressiv“ war, viele Biographen sagen, sie war „leidend“,     sei´s, dass er es selber kannte: das dicke, fette, träge und lähmende Ungeheuer in sich. Ich weiß es nicht. Bin aber gelegentlich dem Gedanken begegnet, Paul Gerhardts Lieder seien „Antidepressiva“. Nehmen wir sein vielleicht berühmtestes Lied „Befiehl du deine Wege“. „Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt“ -    auf diese Formulierung muss man erst mal kommen. Auch auf: „Du füllst des Lebens Mangel aus“. Paul Gerhardt arbeitet sich am beschädigten Leben ab. An dem, was das Herz kränkt, an Tod und Hungersnot. Die aber behalten nicht das letzte Wort. In dieser beschädigten Welt scheint eine andere Macht auf, eine Gegenmacht, etwas Heiliges und Himmlisches, „starke Kräfte“.
Bonhoeffer nennt sie 300 Jahre später „gute Mächte“. 
„Was sind wir doch? Was haben wir auf dieser ganzen Erde, das uns, o Vater, nicht von dir allein gegeben wird?“ 
Dieser Dichter hatte erlebt, dass nichts, aber auch gar nichts selbstverständlich ist, dass wir unser Leben nicht machen, wir nicht!
•    Leben, Glück, ob wir Kinder kriegen oder keine,
•    die Menschen, denen ich verbunden bleibe manchmal ein Leben lang,
•    ob wir gesund bleiben, lachen oder weinen,
•    der Kaffee am Morgen und der Bordeaux am Abend,
das alles wird geschenkt, vielleicht auch geschickt.
Nun ist am kommenden Sonntag Kantate, das Singen aber ist eingeschränkt. Die Infektionsgefahr über Tröpfchen ist beim gemeinsamen Singen groß. Aber das gemeinsame Singen würde jetzt so guttun. Dabei wird Oxytocin ausgeschüttet, das sogenannte Kuschelhormon. Dadurch baut sich Gemeinschaftsgefühl auf und Wohlbefinden. Singen ist sozusagen ein natürliches Antidepressivum. Und jetzt kommen noch Paul Gerhardts Texte dazu.
„Du meine Seele singe, wohlauf und singe schön
dem welchem alle Dinge zu Dienst und Willen stehn.
Ich will den Herren droben hier preisen auf der Erd,
ich will ihn herzlich loben, solang ich leben werd.“ 
Ja, es ist die Seele, die singt, nicht allein die Stimme. Wohl dem, der einzig schauet nach Jakobs Gott und Heil! Wer dem sich anvertrauet, der hat das beste Teil, das höchste Gut erlesen, den schönsten Schatz geliebt. Sein Herz und ganzes Wesen bleibt ewig unbetrübt. (EG 302,2)
Ich summe und singe sie in diesen Tagen so vor mich hin die alten Paul-Gerhardt-Lieder.
Sie tragen. Weil ihr Autor wusste, wie sich die Schwermutshöhle anfühlt.
Und er sich dennoch getragen wusste.
 

Es gilt das gesprochene Wort.


 

22.04.2021
Peter Oldenbruch