Trotzdem ganz bleiben

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Trotzdem ganz bleiben
26.10.2019 - 10:00
08.11.2019
Angelika Obert
Über die Sendung:
Hunger ist schlimm. Der körperliche Hunger sowieso. Aber auch der Lebenshunger kann einen quälen.

 

 

Wenn keiner mich versteht

14 Jahre ist sie alt und möchte am liebsten nur noch heulen. Seit sie sich mit ihrer besten Freundin zerstritten hat, wird sie von ihrer Clique gemieden. Sie merkt, wie die andern  über sie tuscheln und grinsen. Zu Hause ist es auch nicht besser. Die Eltern nerven, sobald sie nur den Mund aufmachen.  „Keiner versteht mich“ – denkt sie verzweifelt und sie hat Recht. Auch wenn die andern über ihren Trübsinn lächeln: Sie wissen eben nicht, wie weh es tut, wenn man einfach nicht mehr dazu gehört. Wie sehr man dann auch an sich selber zweifelt.

Das tut auch der Mann, der schon lange erwachsen ist.  Wieder hat er sich in die Kneipe verkrochen. Da brütet er am Tresen vor sich hin. Beim Abendbrot war es wie immer: Frau und Kinder haben die ganze Zeit auf ihm rumgehackt. Schon lange wird er zu Hause nur noch als Sündenbock gebraucht. Im Büro ist es auch nicht besser. „Keiner versteht mich“ – denkt auch der Mann. Am liebsten würde er einfach nicht mehr da sein.

Es kann jeden treffen

Auch die alte Dame, die mit ihren 82 Jahren schon so viel hinter sich hat: So einsam wie jetzt war sie noch nie. Beim Umzug hat sie die Liebesbriefe entdeckt, die ihr verstorbener Mann einer andern Frau geschrieben hat. Da ist die Welt für sie noch nachträglich zusammen gebrochen. Niemand nimmt ihren Kummer ernst. „Keiner versteht mich“ – das quält sie noch dazu.

Es kann jeden treffen, in jedem Lebensalter: Plötzlich fühlen wir uns ganz allein und fremd in der Welt. Dann erscheint das normale Leben, das die andern führen, wie ein Hohn auf die eigene Schwäche. Dann wird man an allem und vor allem an sich selbst irre.

Selbst die Bibel erzählt von solchen Krisen. Einer, der offenbar sehr gelitten hat, weil keiner ihn verstehen wollte, war der Prophet Jeremia. Sein Glaube hat ihm da gar nichts geholfen. Im Gegenteil, der hat ihn ja in diese verzweifelte Situation gebracht. Jeremia fand sich berufen, das Volk zu warnen – in Gottes Auftrag. Penetrant forderte Gerechtigkeit für die Ärmsten im Land. So trat er denen entgegen, die etwas zu sagen hatten und machte sich damit unbeliebt. Dabei konnte er Konflikte gar nicht gut ertragen. Es machte ihn krank, wenn alle gegen ihn waren. Er machte aber trotzdem weiter und sagte dem König schließlich auch eine Niederlage voraus, die aber nicht gleich eintraf. Das war für die Feinde des Propheten ein gefundenes Fressen: Jetzt konnten sie ihn richtig fertig machen. Sie glaubten einfach nicht, dass Jeremia im Auftrag Gottes sprach.

Der inneren Stimme treu bleiben

Jeremia war sich da auch selber nicht mehr so sicher. Wenn alle anders dachten als er, woher sollte er da wissen, dass er Recht hatte? Wer war er denn? Ein Sonderling, den niemand verstand. Eine armselige, lächerliche Figur.

Nun hätte sich der Prophet ja mal ein bisschen anpassen können. Hätte etwas weniger anstößig predigen können oder überhaupt den Mund halten. Dann wäre es ihm doch wieder besser gegangen.

Aber in seiner großen Verzweiflung gab Jeremia doch nicht nach. So viel war ihm klar: Diese Krise bewältige ich nicht, indem ich mich den Ratschlägen der anderen füge. Ich muss meiner inneren Stimme treu bleiben.

So werde ich heil

Aber selber heilen kann ich mich auch nicht. Ich kann gar nichts tun – ich kann nur dem Gott, dem ich immer gefolgt bin, noch tiefer vertrauen. Jeremia betet: „Heile du mich, Herr, so werde ich heil.“ So hält er seinen Schmerz und seine Einsamkeit aus. Und öffnet sich doch einer Hilfe, die  das Chaos in seiner Seele ordnen kann.

„Heile du mich, Herr, so werde ich heil“ - Jeremias Gebet ist der biblische Wochenspruch für diese letzte Oktoberwoche. Ein Satz, der mitgehen mag, wenn  das Novemberdunkel hereinbricht und die Stimmung verdüstert. 

 

08.11.2019
Angelika Obert